Pilze für Madeleine
Kopf gezogen, Trauer und Schuld lasteten so schwer auf mir, daß ich nicht einmal aufstehen konnte.
Ich hatte versucht, meine Stiefmutter zu verführen und meinem Vater Hörner aufzusetzen. Und am Ende hatte ich sie ermordet. Wie könnte ich meinem Vater je wieder in die Augen schauen? Wie sollte ich ihm erzählen, was ich getan hatte?
Als ich seine Schritte auf der Treppe hörte, zog ich die Decke noch fester um mich und versteckte mich darunter.
»Was ist denn mit dir? Warum liegst du hier?« fragte Vater. »Wo ist Madeleine?«
Er versuchte, mir die Decke wegzuziehen, aber ich hielt sie fest. Wir kämpften eine Weile, und als er hörte, daß ich weinte, ließ er los und setzte sich auf mein Bett.
»Was ist denn passiert?« fragte er in sanfterem Ton.
Ich antwortete nicht, schluchzte nur unter meiner Decke, Vater wiederholte mit steigender Unruhe in der Stimme: »Was ist denn passiert, Gunnar? Was ist los?«
Schließlich schaute ich zu ihm hoch, und er sah meine rotgeweinten Augen.
In seinen Augen sah ich blanke Angst. Erst dachte ich, daß er sich um mich ängstigte. Daß meine Tränen bei ihm beschützende Vatergefühle ausgelöst hätten, was mich bewegte. Dann dachte ich, er ängstigt sich bestimmt wegen Madeleine.
Heute weiß ich, daß er nur Angst um sich hatte.
Ich erzählte ihm alles. Es brach geradezu aus mir heraus. Daß ich in Madeleine verliebt war und nicht in Agneta Bengtsson. Daß ich Höhlenpilze gesammelt und sie in Madeleines Essen gemischt hatte, mit der schändlichen Absicht, sie zu verführen. Und daß dann alles so schrecklich schiefgegangen war.
Vater hörte genau zu und fragte dann.
»Sie ist also tot?«
Ich nickte und starrte Vater voller Entsetzen an. Würde er mich jetzt umbringen?
Aber er strich mir nur traurig über den Kopf und murmelte:
»Du Ärmster.«
Er wollte wissen, was ich dem Arzt im Krankenhaus gesagt hatte, und sprach dann ganz ruhig von einem Unfall. Und daß ich nichts dafür könne.
Die nächsten Tage verbrachte ich im Bett. Es gab keinen Grund für mich, aufzustehen. Ich dachte ernsthaft darüber nach, mir das Leben zu nehmen, aber ich war zu feige dazu.
Vater umsorgte mich und brachte mir Essen ans Bett. Ich war ganz gerührt. Solche Fürsorge war ich von meinem Vater nicht gewöhnt. Aber gleichzeitig machte das meine Schuld nur noch größer. Er hatte wegen mir seine Frau verloren. Ich müßte mich um ihn kümmern. Und nicht umgekehrt. Eine Frage drehte sich die ganze Zeit in meinem Kopf. Wie hatte es nur so schiefgehen können? Warum hatte der Höhlenpilz nicht so gewirkt, wie Vater es beschrieben hatte?
Eines Nachmittags richtete ich die Frage an ihn. Er setzte sich zu mir ans Bett, dachte eine Weile nach und sagte dann:
»Gunnar, es gibt Menschen, die bestimmte Pilze nicht vertragen. Es gibt Menschen, die werden todkrank von einem Steinpilz. Es passiert selten, aber es kommt vor. Madeleine vertrug ganz offenbar keine Höhlenpilze.«
Das war eine Erklärung, aber kein Trost.
»Madeleine war eine wunderbare Frau«, rief ich aus.
»Nein«, sagte Vater. »Das war sie nicht.«
Ich setzte mich im Bett auf. Hatte ich richtig gehört?
»Sie war schön«, fuhr Vater fort. »Aber sie war auch streitsüchtig, egoistisch, faul und verlogen. Außerdem war sie untreu. Es ist vielleicht besser, wenn du die Wahrheit erfährst. Laß uns in den Wald gehen. Das wird dir guttun.«
Ich wollte protestieren, aber Vater war schon aus dem Zimmer. Ich quälte mich aus dem Bett und spülte die Tränen der letzten Tage weg, die sich wie ein klebriger Film auf meine Wangen gelegt hatten.
Die Herbstsonne warf ihre goldenen Pfeile durch die Tannen, der Tau glänzte im Moos. Vater legte ein rasches Tempo vor, ich hatte Mühe, Schritt zu halten.
»Sie war eine Hure, Gunnar, das ist die Wahrheit«, sagte Vater.
»Nein!« rief ich aus. »Sag so was nicht über Madeleine.«
»Nicht so eine, die auf der Straße steht oder sich in deinen albernen Zeitschriften ausklappen läßt. Sie war eine durchtriebene Hure.«
»Sie war eine Gräfin!« protestierte ich.
»Gräfin? Ha!«
Vater legte seine Hand auf meine Schulter und erzählte mir, wie unbeliebt Madeleine bei den Menschen in ihrem Dorf war. Da er kein Französisch konnte, verstand er zunächst nicht, warum. Es hatte mit Madeleines erstem Mann zu tun, der schon 83 Jahre alt war, als sie ihn heiratete. Er war ihr in einem vornehmen Luxushotel in Nizza ins Netz gegangen, dort pflegte er jeden Sommer ein paar Wochen zu
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