Pilzsaison: Tannenbergs erster Fall
und haben ganz laut gesungen. Deswegen hab ich da ja auch hingeschaut.«
»Und was haben die gesungen?«
»Irgend so’n Lied – ich glaub von diesem holländischen Jungen …, der vor etwa zwanzig oder dreißig Jahren diese schrecklichen Schnulzen gesungen hat …«
»Holländischer Junge?«, fragte Tannenberg in die Gesprächspause. »Klar: Heintje! Kann es Heintje gewesen sein?«
»Kann sein. Das war irgendwas mit Mama.«
»Ich hab’s!«, rief der Leiter der Mordkommission und versuchte das Lied anzustimmen. »Maaaama, du sollst nicht um deinen Juuungen weinen.«
»Genau das war’s«, sagte Müller-Clausen anerkennend. »Und wissen Sie, was dann passiert ist, als die Frauen das Lied lauthals gesungen haben?«
»Nein, natürlich nicht! Los, sagen Sie schon!«
»Dann ist der einzige Mann, der an dem Tisch gesessen hatte, mit hochrotem Kopf aufgespritzt und hat mit sich überschlagender Stimme fürchterlich laut losgeschrien und geschimpft.«
»Was hat er geschrien?«
»Er hat ›Ihr Schlampen, das werdet ihr mir büßen!‹ oder so was Ähnliches geschrien und ist dann wie von Sinnen rausgerannt, Herr Kommissar. Ich kann mich deshalb so gut daran erinnern, weil danach in der Wirtschaft für kurze Zeit Totenstille herrschte.«
»Wie viele Frauen saßen an dem Tisch?«, stellte plötzlich Tannenberg die entscheidende Frage.
»Lassen Sie mich nachdenken. Ich muss mich mal kurz konzentrieren …«
Die beiden Ermittler standen regungslos in Tannenbergs Büro.
»Drei. – Es waren drei Frauen, die zwei getöteten und noch eine andere.«
»Können Sie diese Frau und den Mann beschreiben?«
»Schwierig, ist ja schon so lange her. Wahrscheinlich dann, wenn ich ein Foto von ihnen vorgelegt bekäme. Aber so rein aus der Erinnerung – wohl kaum!«
»Herr Müller-Clausen, rufen Sie eigentlich von zu Hause aus an?«
»Ja.«
»Gut, dann bleiben Sie bitte dort. Ich schicke sofort einen Streifenwagen los, der holt Sie gleich ab. Und dann versuchen Sie bitte gemeinsam mit den Kollegen vom Erkennungsdienst ein Phantombild zu erstellen. Sie werden sich wundern, welche technischen Möglichkeiten es heute gibt, einem ermüdeten Personengedächtnis wieder auf die Sprünge zu helfen. Und bis die Kollegen bei Ihnen sind, wühlen Sie bitte alle Ihre Unterlagen nach Abrechnungen, Einladungen usw. durch. Wir brauchen unbedingt den Ort, also die Wirtschaft oder die Hütte, wo sich diese Sache damals ereignet hat.«
Tannenberg legte auf.
Petra Flockerzie meldete sich direkt anschließend über die Gegensprechanlage.
»Chef, während Sie telefoniert haben, hat eine Frau angerufen und behauptet, dass sie die zwei Frauen aus der Zeitung kennt; sie hätte mal mit denen bei der Kreisverwaltung zusammengearbeitet. Ich hab sie gleich herbestellt; war doch richtig, oder?«
»Genau richtig, Flocke. Super gemacht! Es geht doch nichts über Mitarbeiter, die selbstständig mitdenken«, lobte Tannenberg, der richtig in Form zu kommen schien.
»Michael, du hast es selbst gehört. Drei Frauen saßen an dem Tisch. Das heißt, er hat noch eine auf dem Kieker. Was ja auch zu seinem letzten Gedicht passen würde.« Er nahm die Karte von seinem Schreibtisch. »Hier: Neigt sich zu End die Pilzsaison?«
»Ja, aber da ist noch das Fragezeichen, Wolf, das sollten wir nicht außer Acht lassen. Der hätte schließlich auch schreiben können: Ist zu End die Pilzsaison! – mit Ausrufezeichen.«
»Ist doch egal! Wir haben jedenfalls endlich eine heiße Spur!«, frohlockte der Leiter der SOKO ›Pilze‹. »Sei so gut und ruf den Mertel an, der soll sich umgehend mit der Personalabteilung der Kreisverwaltung in Verbindung setzen und abklären, ob die Frauen wirklich dort eine Zeit lang zusammen beschäftigt waren.«
»Wenn da nicht sowieso schon ein Kollege von uns ist. Aber ich kümmer mich sofort darum«, entgegnete Kommissar Schauß, der wie sein Chef sichtlich froh darüber war, nicht mehr blind im Nebel herumstochern zu müssen.
»Und sei so gut und informier noch den Hollerbach und die Psychologin über die neue Entwicklung in unserer Mordserie.«
»Klar, mach ich, wobei ich bezweifle, ob die knackige Profilerin sich mit mir überhaupt zufrieden gibt. Wolf, hast du sie nun flachgelegt oder nicht?«, konnte sich Schauß nun doch nicht verkneifen zu fragen.
Vorsichtshalber beeilte er sich aber dabei, die Tür ins Schloss zu ziehen. Das hatte auch den Vorteil, dass das schlagende Geräusch, das man von der inneren Seite der Tür her
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