Pilzsaison: Tannenbergs erster Fall
Schauß gestört wurde.
»Wolf, ich hab eben den Konopka angerufen und ihm mitgeteilt, was der Student gesagt hat.« Da er den Eindruck gewann, sich nicht klar genug ausgedrückt zu haben, ergänzte er schnell: »Also, was dieser Student gesagt hat, der neben der Frau Kannegießer wohnt.«
»Verstehe. Wegen des Streits und so …«
»Ja, genau. Und der Konopka hat gemeint, dass ihn nicht wundere, dass der sowas gesagt hat, denn schließlich hätte Elvira vor einem halben Jahr mit ihm Schluss gemacht. Und zwar wegen ihm.«
»Interessant! Dann ruf mal den Geiger an, der soll den Studenten ausfindig machen und ihn anständig in die Mangel nehmen.«
»Okay, mach ich gleich.«
»Und was ist mit dem Alibi?«
»Der Konopka hat angeblich Freitagnacht mit seinen Kumpels eine Sauftour durch die Kölner Altstadt gemacht. Die sind …«
»Und am Samstagabend?«, unterbrach Tannenberg.
»Da war er angeblich früh im Bett.«
»Was heißt das genau – Uhrzeit?«
»Ja, er sagt, dass er spätestens um neun geschlafen hat.«
»Natürlich ohne Zeugen, oder?«
»Ohne Zeuge und auch ohne Zeugin!«, sagte Schauß lachend.
»Dann häng dich mal wieder an die Strippe und frag bei dem Hotel in Köln nach, ob die was mitgekriegt haben. Und lass dir mal die Namen von seinen Kumpels geben.«
»Hab ich schon. Die sagen auch nur, dass er früh auf sein Zimmer ist.«
Tannenbergs Wunsch nach einem starken Kaffee machte sich derart penetrant bemerkbar, dass er dieses menschliche Urbedürfnis dringend befriedigen musste. Zu seinem Glück hatte Petra Flockerzie gerade eine frische Kanne Kaffee gekocht.
Als er sich seine große Tasse füllte, wurde die Flurtür vorsichtig von außen geöffnet. »Ah, der Herr Kommissaranwärter ist auch schon wach«, sagte der Leiter des K 1 zu Fouquet, der gerade mit einem großen Paket unter dem Arm die Diensträume betrat.
»Entschuldigung, Herr Hauptkommissar, aber der Kollege Geiger hat gemeint, dass ich wegen der Überstunden gestern heute Morgen etwas später kommen soll. Das würde hier immer so gehandhabt.«
»Was bringen Sie uns denn da mit? Ihren Einstand?«, fragte Schauß neugierig, als er das mächtige Paket erblickte.
»Wenn Sie so wollen. Das ist die alte Espressomaschine meiner Eltern. Die haben sich eine neue gekauft. Und da dachte ich, dass wir die hier vielleicht gebrauchen können …«
»Tolle Idee!«, rief Petra Flockerzie begeistert. »Chef, der Espresso schmeckt viel besser als unser Filterkaffee und außerdem ist er auch noch viel gesünder.«
»Flocke, du wirst es kaum für möglich halten, aber selbst ich lebe nicht hinterm Mond. Stell dir mal vor, ich hab sogar zu Hause eine Espressomaschine, und zwar eine richtig alte, so eine mit Handpresse, original aus Italien«, bemerkte Tannenberg nicht ohne Stolz.
»Entschuldigung, Chef, ich hab ja völlig vergessen, dass Sie ein Italienfan sind.«
»Na ja, Flocke, Fan ist vielleicht ein bisschen übertrieben.« Dann wandte er sich an seinen neuen Kollegen. »Gut, Fouquet, die Maschine können wir hier wirklich gut gebrauchen. Ist ja sogar eine Saeco! Edel geht die Welt zugrunde!«
»Herr Hauptkommissar, ich hätte da noch eine Bitte.«
»Na, dann schießen Sie mal los!«, forderte Tannenberg, während er respektvoll den Espressoautomaten inspizierte. »Bei so einem tollen Einstand haben Sie glatt einen Wunsch frei.«
»Ja, eigentlich ist das gar keine so große Bitte …«, zögerte Fouquet. »Ich hätte nur einfach gern, dass Sie mich auch duzen, so wie die andern. Sonst fühle ich mich irgendwie ausgeschlossen und sonderbehandelt.«
Tannenberg mochte es eigentlich gar nicht, wenn man ihn zum Gebrauch dieser distanzlosen Anredeform zu nötigen versuchte, so wie manchmal die Gäste seines Bruders. Aber noch schlimmer waren einige Bekannte seiner Schwägerin, diese birkenstockbeschuhten Alt-Achtundsechziger, denen dieses ›Du‹ so locker und unverbindlich über die Lippen kam wie dem Nachrichtensprecher der Wetterbericht. Für ihn dagegen hatte das Duzen einen sehr persönlichen, um nicht zu sagen intimen Charakter. Es war der feierliche Endpunkt eines langen Abtast- und Kennenlernprozesses, der bei ihm oft viele Jahre dauerte; wie zum Beispiel bei seinem besten Freund, dem Gerichtsmediziner Dr. Schönthaler.
Aber bei Fouquet ist es ja etwas völlig anderes, sagte sich Tannenberg: Erstens kann man diesen jungen, freundlichen Menschen nicht brüsk mit einer Ablehnung vor den Kopf stoßen, und zweitens handelte es
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