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Pilzsaison: Tannenbergs erster Fall

Pilzsaison: Tannenbergs erster Fall

Titel: Pilzsaison: Tannenbergs erster Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Franzinger
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Euphorieausbruch nötigte.
    »Was ist denn mit dir los? So kenn ich dich ja gar nicht!«, wunderte sich Betty Tannenberg.
    »Entschuldige Elsbeth, der Anfall von Wahnsinn ist auch schon wieder vorbei. Kommt sicherlich nicht mehr so schnell vor.«
    »Dessen bin ich mir wirklich sicher. Dein ›Elsbeth‹ zeigt mir das schon. Du weißt doch genau, wie sehr ich diesen Vornamen hasse!«
    »Ja, deswegen freue ich mich ja auch immer so, wenn ich diesen wunderschönen deutschen Frauennamen in seiner ursprünglichen Form aussprechen kann. Deine Eltern haben sich doch so viel Mühe mit der Suche nach einem passenden Namen für dich gegeben. Wobei ich an ihrer Stelle eher ›Walburga‹ oder ›Brunhilde‹ vorgezogen hätte. Diese alten germanischen Vornamen würden eigentlich noch viel besser zu dir und deinem amazonenhaften Wesen passen.«
    »Mein Bruder: Charmant wie immer, besonders zum weiblichen Geschlecht!«, rief plötzlich jemand aus einem Fenster im ersten Obergeschoss des an die Parkstraße angrenzenden zweistöckigen Wohnhauses.
    »Komm, Heiner, bring mal die Würstchen und das Fleisch runter und spendier dem Griller mal ein Weizenbier! Denn, wenn ich die Sache richtig sehe, werd ich wohl zur Strafe mal wieder zum Herrn über roh oder gar bestimmt.«
    »Das siehst du absolut richtig, lieber Wolfi«, revanchierte sich Schwägerin Betty und mahnte ihren Mann Henry, der eigentlich Heinrich hieß, zur Eile.
    Wahrscheinlich hat Elsbeth damals einfach zu oft ›Harry und Sally‹ gesehen, dachte Tannenberg auf der Suche nach Erklärungen für Bettys ausgeprägter Aversion gegenüber dem eigenen Vornamen.
    Dann erinnerte er sich aber daran, dass seine Schwägerin irgendwann einmal nach dem Konsum einiger Gläser Rotwein erwähnt hatte, dass die erzkonservativen Konnotationen ihrer beider Vornamen sie geradezu gezwungen habe, sich von ihnen dauerhaft zu verabschieden. Als Betty damals seinem Bruderherz eröffnete, dass sie ihn fortan Henry nennen würde, hatte sich dieser nicht einmal ansatzweise dagegen zur Wehr gesetzt.
    ›Konnotationen‹ – typisches Deutschlehrergelaber!, stellte Tannenberg kopfschüttelnd fest.
    Er wusste noch sehr genau, dass er dieses ihm bis dahin völlig unbekannte Wort, welches die mit einem Begriff verbundenen zusätzlichen Vorstellungen bezeichnete, im Duden nachgeschlagen hatte. Und die reaktionären Konnotationen, die mit den Vornamen ›Heinrich‹ und ›Elsbeth‹ anscheinend zwingend einhergingen, waren natürlich für engagierte Mitglieder einer sozialistischen Hochschulgruppe völlig inakzeptabel.
    »Was ist denn mit meiner Wurst und meiner Frikadelle? Ich will endlich was zu essen!«, rief Vater Tannenberg von der Treppe seines Hauses aus.
    »Roh?«
    »Wie? Roh?«
    »Willst du deine Sachen roh essen?«
    »Wieso roh? Ich bin doch nicht verrückt!«
    »Dann musst du dich noch ein wenig gedulden«, gab Tannenberg laut zurück, worauf sich sein Vater sofort schmollend in das zur Beethovenstraße gehörende Haus zurückzog.
    Als sich einige Zeit später alle Mitglieder der Großfamilie an dem ovalen Holztisch in der Mitte des Innenhofs eingefunden hatten, dauerte es nicht lange, bis wieder die üblichen Rituale abgespult wurden.
    »Jacob, komm, nimm mal ein Brötchen zu deiner Frikadelle!«, forderte Margot Tannenberg ihren Ehemann auf.
    »Nein, brauch ich nicht. In der Frikadelle ist genug Brot!«
    »Dann nimm doch wenigstens Salat!«, drängte Betty.
    »Lass mich in Ruhe mit deinem Grünzeug! Das ist was für Stallhasen! Ich halt mich lieber an den Spruch: In Zeiten größter Not schmeckt die Wurst auch ohne Brot! Besonders Pferdewurst!«
    »Igitt, Opa, isst du wieder Pferdefleisch?«, fragte Marieke angewidert.
    »Klar! Egal, ob lebhaft oder still, ein gutes Pferd stirbt auf dem Grill!«
    »Opa, das ist so eklig! Wie kann man nur sowas essen?«
    »Schau mal, Schwesterlein, das liebe Pferdchen lebt noch«, sagte Tobias, nahm den Teller seines Großvaters, hielt ihn Marieke unter die Nase und begann gleichzeitig zu wiehern und mit den Füßen zu scharren. »Hör mal, wie es dich laut um Hilfe bittet!«
    »Ihr seid alle so eklig!«, schrie Marieke und rannte ins Haus.
    »Im Krieg wärst auch du froh gewesen, wenn du Gaulfleisch zu essen bekommen hättest«, rief Jacob Tannenberg ihr nach.
    »Ach, Vater, du immer mit deinem blöden Krieg, der ist doch zum Glück schon lange vorbei«, kritisierte Heiner.
    »Das stimmt doch überhaupt nicht, Henry, heute findet der Krieg nur woanders

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