Pinguin Mord
Gelächter,
Stimmengewirr und das Klappern von Gläsern in das Innere des
Brauhauses. Ernst Hurtiger, der Geschäftsführer, schritt
nachdenklich durch sein Lokal. Er war zufrieden, und das Brauhaus
schrieb im Gegensatz zu anderen Gastronomiebetrieben keine roten
Zahlen. Der Geschäftsführer setzte auf Events, bot
Livemusik und Fußballpartys. Es gab Veranstaltungen zu jedem
nur denkbaren Motto. So bewies Hurtiger alljährlich zur
fünften Jahreszeit, dass auch die Wuppertaler Karneval feiern
konnten. Doch Rosenmontag war fast vier Monate vorbei, und jetzt
sorgte das anhaltend gute Wetter im Tal für volle Tische im
Biergarten.
Trotzdem schwebte
etwas wie ein Damoklesschwert über dem Lokal. Ein
geheimnisvoller Anrufer belästigte Hurtiger seit einigen
Tagen. Bislang hatte der Anrufer keine konkreten Forderungen
gestellt, sondern nur versteckte Drohungen ausgestoßen. Doch
Hurtiger war sicher, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis der
Anrufer Forderungen stellte. Aber er würde sich nicht
einschüchtern lassen.
Ernst Hurtiger stand
auf der hölzernen Treppe im Eingangsbereich und atmete tief
durch, während sein Blick zu den beiden übergroßen
Schwimmerfiguren in nostalgischer Badebekleidung an der Decke
glitt. Die Figuren drehten sich leicht im Luftzug. Sie erinnerten
an die Vergangenheit des Lokals, das einst eine städtische
Badeanstalt gewesen war, bevor das Bad zur Großkneipe
umfunktioniert worden war. Hurtiger war stolz auf
»sein« Brauhaus. Wuppertal war eine Stadt im
ständigen Wandel, und nach der Schließung des Bades war
hier 1997 das Brauhaus eröffnet worden. Nur wenige der
Gäste, die regelmäßig herkamen, erinnerten sich
noch an die Zeit, als sie in grauer Vergangenheit hier ihren
Freischwimmer gemacht hatten. Es bestand kein Zweifel: Das Brauhaus war eine
Institution in Wuppertal geworden, und darauf war Ernst Hurtiger
stolz, als er an diesem Freitagabend eine seiner üblichen
Runden drehte. Er mochte den direkten Kontakt zu den Gästen
und zu seinem Personal. Am Tresen und zwischen den Stehtischen
liefen Kellner in weißen T-Shirts mit grünem
Brauhauslogo herum. Hurtiger mochte das Ambiente, und anscheinend
ging es zahlreichen Wuppertalern genauso. Der Biergarten vor dem
Gebäude war um diese Zeit gut gefüllt. Kellner wieselten
draußen zwischen den Tischen und Bänken umher,
während es hier drinnen beschaulicher zuging.
»Herr Hurtiger,
Telefon für Sie!« Die weibliche Stimme riss ihn jäh
aus seinen Gedanken. Sofort spürte er einen Kloß in
seiner Kehle. Seit Tagen wurde er von dem unbekannten Anrufer
belästigt. Er zuckte zusammen, fuhr herum und blickte in das
dezent geschminkte Gesicht seiner Assistentin Kirsten Klein. Sie
war Anfang vierzig und hatte ihre schulterlangen braunen Haare zu
einem Zopf gebunden. Als Buffetkraft musste sie keine
Dienstkleidung tragen. Sie war hübsch und schlank. Jetzt
lächelte sie Hurtiger an. Sie wusste, dass ihr Chef sich
standhaft weigerte, eines dieser schnurlosen Telefone ständig
im Jackett mit sich herumzutragen. Er hasste Mobiltelefone, er
hasste das Gefühl, immer und überall erreichbar zu
sein.
»Ich
komme.« Hurtiger nickte und folgte Kirsten Klein. »Ist
es wieder… ich meine?«
Sie nickte.
»Wieder dieser Herr Meier.« Sie erklommen gemeinsam die
Stufen ins obere Stockwerk. In der Küche herrschte
geschäftiges Treiben. Stets nannte sich der rätselhafte
Anrufer Herr Meier. Entweder war der Name schlichtweg erfunden,
oder er wusste, dass man ihm allein aufgrund des Namens nicht auf
die Schliche kommen würde.
»Ich will gar
nicht wissen, wie viele ›Herr Meier‹ es in dieser
Stadt gibt.«
Kirsten Klein nickte
stumm. »Ich habe mir mal den Spaß gemacht und im
»Örtlichen« nachgezählt: Es sind
vierundneunzig mit ›e-i‹, fast dreihundert mit
›e-y‹. Und dazu noch die mit ›a-i‹ und
›a-y‹.« Dann hatten sie Hurtigers kleines
Büro erreicht.
»Ich bin sicher,
dass unser Herr Meier, egal wie er sich schreibt, keinen Eintrag im
Telefonbuch hat.« Ernst Hurtiger griff nach dem Hörer.
Kirsten Klein hatte die Tür ins Schloss gedrückt. Der
Lärm der Gäste und das Klappern von Geschirr drangen nur
noch gedämpft an ihre Ohren. Hurtiger ließ sich auf den
Drehstuhl sinken und lauschte. Ein Atmen drang an seine
Ohren.
»Hurtiger?!«
Schweigen. Jemand
atmete schwer. Dann ein trockenes, heiseres Kichern. Jetzt wurde es
Hurtiger zu bunt. Wut vertrieb seine Angst.
»Hallo, so
melden Sie sich doch! Herr Meier?« Er
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