Pinguin Mord
keuchend eine Entschuldigung und
hetzte weiter. Der Geruch von Burgern, Döner und Urin
schwängerte die Luft. Mein Gott, hier gab es wirklich noch
eine Menge zu tun, dachte Stefan und rümpfte die Nase. Der
erste Eindruck war angeblich immer der wichtigste. Wer hier aus dem
Zug stieg und zum ersten Mal nach Wuppertal kam, bekam bestimmt
keinen guten Eindruck von der Stadt, die ihre Schönheiten erst
auf den zweiten Blick preisgibt. Trotzdem: Der Döppersberg
gehörte zu Wuppertal wie die Schwebebahn, der Zoo, die
Schwimmoper und die Historische Stadthalle. Höchste Zeit, hier
etwas für das Image der Stadt zu tun, dachte
er.
»So alleine,
junger Mann?«
Er drehte sich um.
Heike kam direkt auf ihn zu. Sie strahlte, und er verliebte sich
wieder in ihre blauen Augen und ihren blonden Wuschelkopf. Sie trug
Jeans, Kapuzenshirt und Jeansjacke. An einem Arm hing eine
Segeltuchreisetasche, mit dem anderen zog sie einen Koffer auf
Rädern ratternd hinter sich her.
»Heike,
endlich!« Stefan breitete die Arme aus. »Schön,
dass du wieder zu Hause bist!«
Sie blickte ihn
fragend an. »Meinst du das jetzt privat, oder fehle ich dir
einfach nur im Dienstplan?«
Er buffte ihr
freundschaftlich in die Seite. »Deine Spitzen hab ich total
vermisst«, grinste er und nahm ihr die schwere Reisetasche
ab. »Und? Wie fühlst du dich?«
Sie übte einen
koketten Augenaufschlag. Mit theatralischer Stimme sagte sie:
»Ich reise gerne … und ich kehre gern
zurück.« Heike zitierte damit Pina Bausch und schmiegte
sich an Stefan.
»Und du«,
dabei bohrte sie ihren Zeigefinger in Stefans Brust, »musst
mir jetzt ein Wupper Hell im Brauhaus ausgeben.« Sie legte
eine Pause ein, bevor sie fortfuhr. »Die Kollegen treffen
sich doch abends immer noch im Brauhaus, oder?«
»Na klar.«
Stefan nickte und ergriff ihre zierliche Hand. »Komm schon,
es gibt viel zu erzählen - und ich habe
Durst!«
»Na«,
erwiderte Heike. »Wenn das kein Argument ist!« Seite
an Seite traten
sie ins Freie und genossen die frische Luft. Der Hähnchenwagen
neben dem Parkplatz hatte soeben seine Pforten geschlossen, und
Stefan fühlte plötzlich ein Grummeln in seiner
Magengegend: Hunger.
»Worauf hast du
Lust?«, fragte er, an Heike gewandt.
»Auf was
Heißes …«, erwiderte sie und schenkte ihm einen
fast lasziven Augenaufschlag. Sie lachte. »Heiß und
fettig. Auf Brauhausfritten mit Ailoi und ‘nem kalten Bier -
was dachtest du denn?«
Also doch keine
Diät, durchzuckte es Stefan. Er grinste zufrieden.
»Ich wusste,
dass wir uns verstehen.«
Das Gepäck hatten
sie kurzerhand auf die Rückbank befördert. Nun schaute
sie ihm amüsiert dabei zu, wie er versuchte, den Käfer
zum Leben zu erwecken. Nichts hat sich geändert, dachte sie
lächelnd.
Stefan strahlte wie
ein großer Junge, als der Motor diesmal ohne Murren ansprang.
Im Schritttempo lenkte er Clemens, wie er seinen Käfer nannte,
vom Parkplatz. Als der Käfer im Juni 1969 in Wolfsburger
VW-Werk vom Band lief, war er leuchtorange lackiert. Der Signallack
hatte den Namen »Clementine« getragen; so hatte es
sogar im Kaufvertrag gestanden. Stefan hatte den VW-Käfer fast
dreißig Jahre später von einem alten Herrn aus erster
Hand erworben. Da Stefan der Meinung war, dass auch Autos eine
Seele haben, musste ein Name her. Und so hatte es nicht lange
gedauert, bis er auf »Clemens« - von
»Clementine«, der Lackfarbe, abgeleitet - gekommen war.
Da die vergangenen Jahrzehnte sehr am Blechkleid des Käfers
genagt hatten und auch der Rost sein vernichtendes Werk längst
begonnen hatte, hatte Stefan sich dazu entschlossen, dem Käfer
eine Komplettrestaurierung zu gönnen. Jetzt war der Motor mit
seinen 34 PS etwas flotter als damals; und auch im Innenraum waren
einige Details verändert worden. Die Originalsitze mit hellen
Bezügen aus den sechziger Jahren gab es aber immer noch,
ebenso das dünne Lenkrad mit dem verchromten Hupenkranz und dem
alten Wolfsburger VW-Symbol in der Mitte. Als Kontrast dazu hatte
er seinem Wagen ein dem heutigen Standard angemessenes Radio mit
CD-Player gegönnt. Auch das runde Blechkleid war modernisiert
worden - aus dem ursprünglichen Leuchtorange war ein elegantes
Bordeaux mit Perleffekt geworden. Der Käfer schimmerte nun, je
nach Lichteinstrahlung, in den verschiedensten Farben. Doch der
Name »Clemens« war geblieben.
Natürlich
hätte er das Geld, das für die Restaurierung
draufgegangen war, auch in ein neueres Auto investieren
können, aber
Weitere Kostenlose Bücher