Pinguin Mord
auf das Verwaltungsgebäude. »Er
sitzt in der obersten Etage. Wenn du Glück hast, lässt
dich Frau Vogel, seine Sekretärin, zu ihm durch - aber das
hängt von ihrer Laune ab.« Die Fahrer
kicherten.
»Mein
unwiderstehlicher Charme wird sie sicherlich
überzeugen«, säuselte Stefan, tippte mit zwei
Fingern an den Rand seiner Schirmmütze und wandte sich ab. Mit
forschem Schritt marschierte er die breiten Treppen zum Eingang des
Verwaltungsgebäudes hinauf, stets zwei Stufen mit einem
Schritt nehmend. Am Empfang saß niemand. Stattdessen stand
ein Telefon mit einer Liste der möglichen
Gesprächspartner auf dem Tresen bereit. Stefan zögerte
einen Moment, warf einen Blick auf die in Folie
eingeschweißte Liste und fand schließlich den Eintrag
»Sekretariat Wittwer«. Er überlegte, ob er Frau
Vogel anrufen und seinen Besuch ankündigen sollte, entschied
sich schließlich dagegen und nahm kurz entschlossen das
Treppenhaus. Stefan wollte die Gunst eines
Überraschungsangriffs nutzen. Im obersten Stockwerk stand er
ein wenig atemlos vor einem Schreibtisch, hinter dem eine drahtige
Endvierzigerin saß und auf einer Computertastatur
herumhackte. Gebannt starrte sie auf den Monitor und schien
fasziniert von dem zu sein, was sie da fabriziert hatte. Erst als
Stefan vor ihrem Schreibtisch stand, löste sich ihr Blick vom
Monitor. Sie schaute ihn irritiert an. Der Ansatz eines
Lächelns huschte um ihre Mundwinkel, um im nächsten
Augenblick schon wieder zu verblassen. Offenbar war sie es nicht
gewohnt, dass Besucher unangemeldet bei ihr auftauchten. Und
samstags schien sie überhaupt nicht mit Besuchern zu rechnen.
Stefan blickte sich unauffälig um. Auf ihrem Schreibtisch
herrschte Chaos. Ein halb gegessenes Käsebrötchen, eine
halbvolle Kaffeetasse mit dem Aufdruck »Beste
Chefsekretärin der Welt«, in einem Köcher
verschiedene Stifte, ein Locher, ein Tacker und ein Behälter
mit Büroklammern. Die Papiere auf ihrem Schreibtisch trugen
durchweg das Logo der Spedition Wittwer. Links vom Schreibtisch ein
Stehpult, hinter der Sekretärin zwei Palmen, an den weiß
getünchten Wänden historische Schwarz-Weiß-Aufnahmen aus
Wuppertal um 1900. Das Schwebebahngerüst im Bau, der schwarze
Fluss, wie er sich durch Fabrikgebäude
hindurchschlängelte, Frauen und Männer vor einer typisch
bergischen Kulisse. Fachwerk- und Schieferhäuser mit
windschiefen Giebeln, im Hintergrund ein Pferdefuhrwerk. Die
Menschen trugen altertümliche Bekleidung und blickten
unverwandt in die Kamera. Und wieder Fotos vom Bau der Schwebebahn,
diesmal an der Landstrecke, irgendwo zwischen Sonnborn und
Vohwinkel.
»Ja bitte, Sie
wünschen?« Eine kalte, abweisende Stimme. Stefan
löste sich vom Anblick der Fotografien und wandte sich der
Frau zu, die ein mausgraues Kostüm trug. In ihren Augen lag
das pure Misstrauen. Sie war dezent geschminkt und roch nach dem
gleichen Parfüm, das Stefans Grundschullehrerin genutzt hatte.
Er hatte es schon damals gehasst. Ihre rot lackierten
Fingernägel spielten mit einem dünnen, goldenen
Kugelschreiber. Irritiert blätterte sie in einem Terminplaner
herum, ihre spitzen Finger huschten über die Einträge.
Sie schüttelte den Kopf, bevor sie lauernd zu Stefan
aufblickte.
»Mein Name ist
Stefan Seiler, von der Wupperwelle. Ich möchte bitte zu Herrn
Wittwer.«
»Haben Sie einen
Termin?« Das Lächeln war aufgesetzt. Eine starre Maske,
die ihr nur die Höflichkeit abverlangt hatte. »Es ist
Samstag«, wurde er überflüssigerweise belehrt.
»Und da haben Sie einen Termin mit Herrn Wittwer?«
Spott lag in ihrer
Stimme.
Eins zu null, dachte
der Reporter und lächelte freundlich. »Noch nicht,
deshalb bin ich ja hier«, erwiderte Stefan. »Es
ist… privat.«
»So so,
privat.« Sie nickte, als würde sie jetzt plötzlich
alles verstehen. Dann erhob sie sich. »Ich kann Herrn Wittwer
ja mal fragen. Aber viel Zeit wird er nicht haben. In ein paar
Minuten hat er ein Meeting mit den Disponenten, und
…«
»Danke, es wird
auch nicht lange dauern«, beeilte sich Stefan zu sagen und
überlegte, wie wichtig eine Besprechung an einem Samstagvormittag wohl
sein möge. Er blickte ihr nach, als sie in ein angrenzendes
Büro verschwand. Sie klopfte höflich an und wartete einen
Augenblick, bevor sie den Kopf durch den Türspalt steckte,
leise sprach, um dann durch den Spalt in das Büro zu huschen.
Türe zu, Stille.
Stefan zuckte die
Schultern. Es dauerte nicht lange, und Frau Vogel erschien
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