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Pinguine frieren nicht

Pinguine frieren nicht

Titel: Pinguine frieren nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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zu befestigen, damit der Pinguin der Spieldoktor sein sollte, aber es gelang ihm nicht.
    Für Nina kaufte er ein türkisches Kosmetikset, nicht teuer, aber umfangreich. Neben der Kosmetikabteilung entdeckte er eine Abteilung, die sich direkt ›Geschenke‹ nannte. Am Eingang zu dieser Abteilung stand eine hochgewachsene junge Frau im Snegurotschkakostüm* [* ›Snegurotschka‹ (russ. Schneeflöckchen) ist eine ganz in Weiß gekleidete Frauenfigur, die, nach russischem Brauch, Väterchen Frost an Neujahr beim Geschenkeverteilen begleitet.] neben einem kleinen Tisch.
    »Liebe Männer«, sagte sie laut und gleichzeitig sehr wohlklingend. »Kauft hier! Hier gibt es das beste Geschenk für eure geliebte Frau!«
    Und auch wenn Viktor nun keine geliebte Frau hatte, zogen ihn diese Worte magnetisch zu dem Tisch, auf dem kleine, zierliche Kaffeetäßchen mit Untertellern standen.
    »Täßchen zum Kaffeesatzlesen!« fuhr die junge Frau fort. »Das beste Geschenk für die geliebte Frau! Bitte tretet näher, Männer, nur keine Scheu!«
    Viktor stand bereits am Tisch. Von hinten traten noch ein paar Männer näher.
    »Schauen Sie, ich zeige es Ihnen!« verkündete die junge Frau.
    Sie holte mit einem großen Löffel etwas Kaffeesatz aus einem Mokkakännchen und leerte ihn graziös in ein Täßchen. Dann stülpte sie das Täßchen auf den Unterteller. Sie wartete eine Minute in der Pose eines Magiers, dann hob sie das Täßchen und zeigte es den Männern: An den feinen [378] Porzellanwänden innen war deutlich das Viktor bekannte erotische Bild zu sehen. Genau dasselbe hatte ihm in Moskau Marina Zoj beim Kaffeesatzlesen gezeigt.
    Viktor lächelte verlegen.
    »Ein Set enthält sechs Täßchen mit Untertellern«, fuhr die junge Frau fort. »Jede Tasse hat ihre eigene Überraschung! Man kann Liebe lesen, Geld, Glück!«
    ›Liebe und Glück sind also verschiedene Dinge?‹ überlegte Viktor plötzlich. Er dachte nach und stimmte dem Mädchen unerwartet zu. Ja, es waren verschiedene Dinge.
    »Verzeihung«, bat er sie. »Werden die Täßchen auch einzeln verkauft?«
    »Selbstverständlich. Eine Tasse mit Unterteller kostet sieben Griwni, das Set mit sechs – zweiundvierzig. Welche Tasse möchten Sie?«
    »Die mit der Liebe«, bat Viktor.
    Das Mädchen hatte faszinierend dünne, lange Finger, die Teller und Tasse so geschickt in ein buntes Geschenkpapier einwickelten, daß Viktor den Blick nicht von ihnen lösen konnte. »Hier, bitte.« Sie überreichte Viktor das festliche Päckchen. »Frohes neues Jahr!«
    »Ihnen auch!« antwortete Viktor.
    Er dachte an Ljoscha. Zuerst wollte er ihm einen schönen bayrischen Bierkrug kaufen, aber nicht der Preis von zweihundert Griwni hielt ihn davon ab, sondern der Sinn des Geschenks. Nein, dachte er, es mußte was Neutrales sein, ohne den kleinsten Bezug zur Sauferei. Er fand einen solchen Gegenstand, der noch dazu viel weniger kostete, ein braunes Lederetui mit einem kleinen Kalender und einem Taschenrechner.
    [379] Zu Hause versorgte indessen Sonja Ljoscha mit Tee. Sonja gefiel Ljoschas sichtbare Hilflosigkeit, und auch wenn er eigentlich gar nicht hilflos war, spielte er das Spiel mit.
    »Aber zwei Löffel Zucker«, bat er. »Noch besser drei!«
    »Das ist ungesund«, entgegnete das Mädchen kopfschüttelnd. »Ich gebe dir anderthalb, und sei froh, daß es nicht nur einer ist! Weißt du, wie viele Krankheiten von Zucker kommen?!«
    »Eine weiß ich: Diabetes.«
    »Ist das im Bauch?«
    »Nein, im Blut.«
    »Dann weiß ich noch eine andere, das ist, wenn man furchtbar Bauchweh kriegt! Von Zucker und von Schokolade!«
    Nachdem er seine Tasse Tee erhalten hatte, trank Ljoscha einen Schluck und sah aus dem Fenster. Am Küchentisch zu sitzen war für ihn nicht besonders bequem. Es stellte sich heraus, daß er mit Sonja, wenn sie neben ihm saß, auf gleicher Höhe war.
    Draußen schneite es wieder. Der frühe Winterabend ließ die Fenster im Haus gegenüber aufleuchten, und auch hier bei ihnen in der Küche brannte das Licht. Ljoscha seufzte, sah zu Sonja hinüber, die am Herd saß, und bemerkte die grüne, patinaüberzogene Urne auf dem Fensterbrett.
    »Was ist das da für ein Krug?« fragte er und wies mit den Augen hin.
    »Das ist Onkel Witjas Freund«, antwortete das Mädchen gelassen. »Er ist irgendwo in Moskau gestorben, und jetzt steht er hier. Tante Nina hat ihn auf den Balkon [380] geräumt, und als Onkel Witja zurückgekommen ist, hat er ihn wieder da hingestellt.«
    Ljoscha runzelte

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