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Pinguine frieren nicht

Pinguine frieren nicht

Titel: Pinguine frieren nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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schweigend die Stirn. In seiner Erinnerung tauchten die ›dienstlichen‹ Begräbnisse auf, die Leichenfeiern, die teuren Särge und die wundervolle Stille auf dem Friedhof. Es war eine freudlose Schönheit und Ruhe.
    »Trink deinen Tee, sonst wird er kalt!« holte Sonja ihn aus seinen Erinnerungen. »Soll ich dir ein Brot schmieren? Wir haben gesunde Wurst da, ›Doktorwurst‹.«
    »Ja, bitte«, bat Ljoscha.
    Abends, als sie schon alle zu Abend gegessen hatten und vor dem Fernseher saßen, klingelte das Telefon.
    Viktor zuckte zusammen, so sehr war ihm dieses elektronische Trillern fremd geworden. Nina nahm den Hörer ab. Dann sah sie Viktor an.
    »Witja, für dich!«
    »Ist dort Viktor?« fragte eine unbekannte Männerstimme.
    »Ja.«
    »Wir haben Ihnen was mitgebracht. Halten Sie zehn Riesen bereit, und dann gibt es einen Austausch.«
    »Zehn Riesen?« wiederholte Viktor. »Also zehntausend?«
    »Genau, zehn Dollarriesen. Morgen um zwölf rufe ich Sie wieder an, und wir vereinbaren den Treffpunkt. Nur machen Sie keine Dummheiten! Auf Wiedersehen.«
    Viktor hielt immer noch den Hörer in der Hand, aus dem seit zwei Minuten das Besetztzeichen tönte.
    »Wer war das?« fragte Nina beunruhigt.
    »Mischa-Pinguin ist da«, seufzte Viktor.
    [381] »Hurra!!« schrie Sonja und verstummte, als sie Viktors ratlosen Blick auffing.
    Er seufzte noch mal, als er an die zehntausend Dollar dachte, die er bis morgen auftreiben mußte.
    Da blieb nur die Hoffnung auf Bronikowskis Kreditkarte, mit deren Hilfe er allerdings nur Griwni ziehen konnte. Die Griwni konnte man natürlich in Dollar wechseln, aber wie viele Griwni brauchte man dafür! Mehr als dreißigtausend!
    Viktor sah sich schon im Geiste mit einer Tüte voll einheimischer Währung von einer Wechselstube zur anderen laufen und Dollar tauschen.
    »Was ist passiert?« fragte Nina vorsichtig.
    »Ich brauche Geld«, erklärte er schon gefaßt. »Ich dachte, sie würden ihn kostenlos bringen…«
    »Mischa?« fragte Ljoscha.
    Viktor nickte. Plötzlich sah er entschlossen in die Runde.
    »Ich komme spät zurück, in drei Stunden etwa«, sagte er und ging hinaus in den Flur.
    73
    Golossejewo im Licht der abendlichen Laternen glich einem Dorf aus dem Märchen. Auf den sanft abfallenden Dächern der freistehenden Häuser lag eine gleichmäßige Schicht aus Schnee. Hier und da standen Tannenbäume, und in manchen Höfen trugen sie schon bunte Lichterketten.
    So eine drei Meter hohe Tanne stand auch mit leuchtenden Girlanden im Hof von Sergej Pawlowitsch. Der selbst [382] war nicht zu Hause, dafür stand der vertraute Geländewagen auf dem schneeüberzogenen Kies, und der Leibwächter Pascha war auf seinem Posten. Er öffnete die Pforte, nachdem Viktor auf den unter einem kleinen Blechdach vor dem Wetter geschützten Klingelknopf gedrückt hatte.
    »Oh, du bist es!« freute sich Pascha. »Der Chef hat neulich erst von dir gesprochen!«
    Pascha ließ Viktor ins Haus, und sie setzten sich in die Küche.
    »Kaffee?« fragte der Leibwächter.
    Viktor nickte.
    »Der Chef kommt in einer halben Stunde, er ist jetzt selten vor zwölf daheim. Er ist doch jetzt Abgeordneter.«
    »Abgeordneter?« fragte Viktor überrascht. »Er war doch nur Berater!«
    »Es gab Neuwahlen, und das Volk hat für ihn gestimmt.« Pascha nickte. »Und weißt du was, es gefällt ihm. Er sagt, da sind prima Männer. Natürlich, sagt er, gibt es auch solche, die man nachts von der Brücke werfen müßte… Aber wo gibt es die nicht!«
    Draußen vor dem Tor hupte ein Wagen, und Pascha eilte hinaus. Viktor sah, wie der Leibwächter das Tor öffnete, ein schwarzer Mercedes mit staatlichem Nummernschild in den Hof rollte und Sergej Pawlowitsch im eleganten, fast knöchellangen, tiefschwarzen Mantel ausstieg. Der Wagen fuhr rückwärts aus dem Tor, und Pascha schloß es wieder.
    ›Er hätte ja auch draußen vor dem Tor aussteigen können‹, dachte Viktor.
    »Oho!« rief Sergej Pawlowitsch, als er kurz in die Küche hereinschaute. »Und Pascha sagt mir, da sitzt ein Gast! [383] Willkommen!« Er zog den Mantel aus und war jetzt im eleganten blauschwarzen Anzug. »Gleich feiern wir anständig Wiedersehen!«
    Er verschwand für eine Minute, dann kam er wieder und stellte das Kaffeewasser aus.
    »Kaffee trinkst du morgen früh, um Mitternacht gibt es Kognak! Hier? Oder gehen wir rüber?«
    »Hier ist es demokratischer«, meinte Viktor, der das Gefühl hatte, seine Bitte würde in der Küche besser und einfacher klingen als

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