Pinguine frieren nicht
konnte Mischa morgen freikaufen. Und was die neue Aufgabe bei seinem alten Chef betraf, so war das vielleicht sogar gut so. Zu Hause sitzen und auf irgend etwas warten war eine sinnlose Beschäftigung. Bisher hatte er auf Mischas Rückkehr gewartet. Jetzt war Mischa beinahe zu Hause. Man mußte sich irgendwie wieder ins Leben schleichen, Geld verdienen…
»Hier ist übrigens deine erste kleine Aufgabe! Du läßt dir von Pascha die Telefonnummern von ein paar Journalisten geben. Du findest ein möglichst armes Kinderheim in der Gegend, suchst zwanzig nette Kinderchen aus und bringst sie am dreißigsten Dezember gegen Mittag hierher, dann veranstalten wir für sie ein Fest unterm Tannenbaum und verteilen Geschenke. Dazu holst du die Journalisten. Nicht zu schwierig?«
Viktor schüttelte den Kopf.
»Such die Kinder nicht in Kiew, die haben sich schon [387] größere Fraktionen für ihre Veranstaltungen gekauft.« Sergej Pawlowitsch drehte sich zur Küchentür. »Pascha!« rief er. »Bring Witja nach Hause, damit ihn nicht unterwegs die Tschetschenen noch mal entführen!«
Dann wandte er sich wieder Viktor zu, der den Packen Dollar bereits in der Innentasche seiner Katastrophenschutzjacke verstaut hatte.
»Hast du mein Handy noch?«
»Ja.«
Sergej Pawlowitsch gab Viktor noch drei weitere Hundertdollarscheine.
»Das ist für neue Kleider. Daß ich dich nicht mehr in dieser Kriegsuniform sehe!«
74
Nun waren es nur noch drei Tage bis Neujahr. Morgens fand Viktor, daß in seiner Wohnung zu viel Getriebe herrschte. Die Katze lief ihm zweimal zwischen die Füße, einmal, als er sich waschen ging, beim zweiten Mal stolperte er über sie, als er in der Küche den Wasserkessel aufsetzte. Ljoscha schnaufte reichlich laut, während er sich von seinen zusammengeschobenen Sesseln erhob und in den Rollstuhl stemmte. Sonja stellte den Fernseher an und zappte, auf dem Sofa liegend, auf der Suche nach einem Zeichentrickfilm durch die Kanäle. Nur Nina lag still im Schlafzimmer, den Blick zur Decke gerichtet, und dachte beunruhigt an den heutigen Tag – daran, daß es in dieser Wohnung mit Ljoschas Auftauchen eng geworden war und [388] daß es heute, wenn Viktor Mischa brachte, unerträglich werden würde.
Viktor saß indessen in der Küche und war nervös. Er überprüfte noch mal, ob die Dollars an ihrem Platz waren. Er sah auf die Uhr. Es war noch früh, halb acht, vor dem Fenster war es noch dunkel. Nur die Lichter im Haus gegenüber verströmten einen geradezu störend lebhaften, dörflichen gelben Schein.
Er hatte Hunger und wartete nicht auf die anderen. Ljoscha hatte keine Eile, in die Küche zu kommen. Er fuhr zur Balkontür und sah hinaus in den Wintermorgen und die sich langsam auflösende Dunkelheit. Er wartete, bis Nina hinter seinem Rücken ins Bad ging, sich wusch und anzog. Dann war er, Ljoscha, an der Reihe. Sonja stand wie immer als letzte auf.
Nachdem er ein Rührei gegessen hatte, beruhigte Viktor sich ein wenig. Die Zeit verging langsam, aber stetig. Bis zum angekündigten Telefonanruf blieben noch drei Stunden.
Exakt um Mittag klingelte das Telefon. Der Anrufer wollte wissen, ob Viktor das Geld bereit hatte.
»Ja«, antwortete Viktor.
»Dann heute abend um acht. Im Wasserpark. Gehen Sie über die Brücke am Restaurant Die Mühle, und warten Sie dort, bis auf der anderen Seite ein Wagen hält und zweimal mit den Scheinwerfern blinkt. Alles klar?«
»Ja.«
Der Anrufer legte auf.
»Na, und?« fragte Ljoscha.
»Heute abend um acht im Wasserpark.«
[389] »Ich gehe mit dir.«
Viktor betrachtete seinen Bekannten mit einem traurigen Lächeln.
»Warte lieber hier!«
Ljoscha seufzte.
»Geh auf dem Rückweg mit Mischa im Feinkostladen vorbei, damit was da ist, um seine Rückkehr zu feiern«, sagte er.
»Machen wir«, versprach Viktor.
Dann suchte er Sergej Pawlowitschs Visitenkarte heraus und rief ihn an. Am anderen Ende war Pascha.
»Gut, daß du es bist!« sagte Viktor froh. »Ich brauche heute abend Hilfe.«
»Weiß ich, der Chef hat es mir gesagt.«
Viktor staunte.
»Was hat er dir gesagt?«
»Daß du nach zwölf anrufen wirst, um mir zu sagen, wo ich hinkommen soll.«
»Na so was!« entfuhr es Viktor. »Treffen wir uns um sechs am Wasserpark. Beim Restaurant ›Die Mühle‹.«
»Gut, ich werde da sein!« versprach Pascha.
Wieder begann das nervöse Warten. Viktor erkannte, daß es leichter gewesen war, auf den Telefonanruf zu warten als auf das abendliche Treffen. Erstens waren
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