Pinguine frieren nicht
Messers.
81
Nachts wurde es Viktor heiß. Er erwachte und merkte, daß er eng umschlungen mit Nina unter der Daunendecke lag. Vorsichtig befreite er seinen Arm, rückte ein wenig von Ninas warmem, schlafendem Körper ab und stieß im selben Moment an die hölzerne Bettkante. Er befand sich schon am äußersten Rand.
Langsam, wie um zu verhindern, daß die betrunkenen Gedanken überschwappten, erhob er sich. Er sah sich um, erkannte, daß die Hälfte des Bettes von Sonja eingenommen wurde, und blickte wieder auf Nina. Dann wurde ihm bewußt, daß er völlig nackt vor dem Bett stand. Er fand seine Hose auf dem Boden und zog sie an.
›Wie hat die Neujahrsfeier geendet?‹ fragte er sich und fand keine Antwort. Der Moment, in dem sie die Tafel aufgehoben hatten, war verschwunden und nicht mehr in seinem Gedächtnis vorhanden. Ihm war ein wenig schwindlig, von den Getränken dieser Nacht oder von dem aus seinem Kopf weichenden Blut.
Viktor trat ans Fenster. Er stützte sich mit den Händen [421] aufs Fensterbrett, starrte in die Finsternis jenseits der Scheibe und lauschte. Auf der Straße war es still. Er erinnerte sich daran, wie nach Mitternacht dort der Schneesturm getobt hatte und der Schnee an die Scheiben geklatscht war. Er erinnerte sich auch daran, wie er, sich kaum noch auf den Beinen haltend, die Neujahrsgeschenke aus dem Schrank geholt und dann auf Knien unter dem Tannenbaum verteilt hatte.
Hatten Nina und Ljoscha die Geschenke noch ausgepackt? Aber offenbar verlief genau an dieser Stelle die Grenze zwischen dem, was im Gedächtnis geblieben, und dem, was herausgefallen war.
Er beschloß nachzusehen.
Im Wohnzimmer schlief Ljoscha im Trainingsanzug auf dem Sofa. Er schnarchte leise. Der Fernseher war ausgeschaltet, aber auf dem Tisch stapelten sich die leeren Teller, Schüsseln und Gläser. Leere Flaschen standen matt schimmernd an der Heizung rechts von der Balkontür.
›Und wo war Mischa?‹ überlegte Viktor vor dem Stück Kamelhaardecke an der Balkontür.
Der Pinguin war nicht da. Viktor wunderte sich. Er ging vorsichtig in die Küche, schaltete das Licht ein und erblickte seinen Liebling unter dem Tisch neben der Schreibmaschine. Mischa sah verloren aus. Er schlief nicht. Als das Licht anging, verdrehte er den Kopf zur Decke, dann sah er Viktor und wandte seine kleinen schwarzen Äuglein nicht mehr von ihm ab.
»Und du, geht’s dir auch beschissen?« fragte Viktor und hockte sich vor ihn hin. »Willst du vielleicht schwimmen gehen? Wie damals, weißt du noch? Mit Sergej! Hm?«
[422] Der Pinguin sah Viktor regungslos an. Dann seufzte er, wandte den Blick ab und sah wieder die Schreibmaschine an.
»Was hast du denn?« fragte Viktor aufgeregt. »Glaubst du mir nicht? Warte eine Minute!«
Und Viktor ging zurück ins Schlafzimmer und zog sich an. Im Flur fand er seine Katastrophenschutzjacke und steckte die gestern nicht geleerte Flasche Kognak in die Tasche. Er zog Stiefel an, nahm Mischa auf den Arm und verließ die Wohnung.
Auf der Straße war es still, dunkel und menschenleer. Die Stadt schlief so tief und ansteckend, daß auch Viktor gähnte. Er warf einen Blick auf Mischa, der neben ihm am Rand des verschneiten, verlassenen Gehwegs stand, und ihm kam es so vor, als ob auch Mischa gegähnt hätte.
Plötzlich leuchteten in der Dunkelheit zwei schwache gelbe Scheinwerfer auf. Sie wurden allmählich größer und heller, und als sie ganz nah herangekommen waren, trat Viktor auf die Straße und hob die Hand.
Der alte Moskwitsch bewegte sich langsam und vorsichtig auf der winterlichen Straße. Der Wagen hielt. Viktor versuchte die Tür zu öffnen, aber die widersetzte sich – sie war von innen blockiert. Dafür wurde die Scheibe heruntergekurbelt, und eine klare Männerstimme fragte: »Wohin wollen Sie?«
»Zum Dnjepr«, sagte Viktor, während er ins Innere des Moskwitsch spähte und versuchte, das Gesicht des Fahrers zu finden.
»Das kostet dreißig Griwni«, sagte der unsichtbare Fahrer. »Sie müssen das verstehen, heute ist doch erster Januar.«
[423] Viktor war einverstanden, und der Fahrer öffnete die hintere Wagentür.
Langsam zog die schlafende Stadt an ihnen vorüber. Viktor folgte ihr träge mit dem Blick.
Hinter der Metrobrücke stiegen sie aus. Es herrschte immer noch dichte nächtliche Finsternis. Viktor sah auf sein linkes Handgelenk, aber da war keine Uhr, er hatte sie zu Hause vergessen.
»Komm, komm, wir suchen dir ein Eisloch!« sagte er zu Mischa.
Sie stiegen zum
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