Pinguine frieren nicht
soll. Klar?«
Nachdem er das Handy in die Tasche seiner neuen warmen Jacke zurückgesteckt hatte, drehte Viktor sich um und sah nach Sonja, die auf dem Rücksitz schlief. Mischa-Pinguin stand neben ihrem Kopf und blickte hinaus in die tiefe, allmählich in Nacht übergehende Dämmerung. Nur wenn der grelle gelbe Scheinwerferstrahl eines entgegenkommenden Autos ins Wageninnere fiel, erschauerte er, zwinkerte mit seinen kleinen Äuglein und hob die Flossenflügel, als ob seine Augen juckten und er nicht wüßte, wie er an sie herankommen könnte. Dann senkte er den Kopf und rieb die zerkratzte Wange an seiner eigenen Schulter.
Zu Hause trafen Viktor und Sonja Ljoscha und Nina bei einer mehr als seltsamen Beschäftigung an. Sie saßen in der Küche und spielten Schach. Es wurde allerdings schnell klar, daß hier keine Partie gespielt wurde, sondern Unterricht stattfand. Ljoscha brachte Nina das Schachspielen bei.
Viktor staunte über alles, außer, daß Nina nicht Schach spielen konnte. Das war natürlich.
»Spielst du denn gut?« fragte Viktor Ljoscha.
»Nicht schlecht«, gestand der. »Früher, als ich um Geld gespielt habe, konnte ich an einem Abend hundert Grüne herausspielen. Natürlich haben wir nicht um Grüne gespielt. Wer Grüne hat, spielt nicht Schach.«
»Toll«, sagte Viktor nüchtern.
Ljoscha warf ihm einen verwunderten Blick zu, aber auf [461] Viktors Gesicht erschien bereits ein normales Lächeln. Ohne auf die geschäftig gewordene Nina zu achten, die sich daran machte, die Schachfiguren einzusammeln, trat er zum Herd und zündete die Flamme unter dem Teekessel an.
»Wir haben noch nicht ohne euch gegessen«, erklärte Nina. »Im Kühlschrank sind frische Sardellen, ich koche schnell Grütze!«
Viktor ging ins Bad, um sich zu waschen, und hörte gleich darauf Sonjas Schritte hinter sich.
»Siehst du, ich hab’s dir ja gesagt!« flüsterte sie besorgt. »Tante Nina gefällt ihm!«
»Na und?« entgegnete Viktor im Umdrehen.
Sonja schüttelte ganz wie eine Erwachsene den Kopf und seufzte.
»Du wirst es noch bereuen«, erklärte sie und ging aus dem Bad.
Viktor zuckte die Achseln und seufzte auch, beunruhigt über Sonjas Sorgen. Erst das kalte Wasser munterte ihn auf, erfrischte seine Gedanken und Empfindungen.
Das folgende Abendessen verlief friedlich und freundschaftlich. Selbst die Katze, als sie in die Küche hereinspähte, kam bei Mischas Anblick nicht herein, sondern kehrte in den Flur auf ihren Platz zurück.
Als alle sich in ihre Betten begeben hatten und das Licht in den Zimmern erlosch, richtete Viktor sich in der Küche ein. Er zog die Schreibmaschine unter dem Tisch heraus, legte ein frisches Blatt Papier ein und saß regungslos davor.
Nach ein paar Minuten kam der Pinguin in die Küche. [462] Wie immer schubste er die Küchentür mit der Brust auf. Er wartete, bis sie aufgeschwungen war und stillstand, dann kam er von einer Seite zur anderen schwankend wie ein betrunkener Matrose herein und stieß mit der Brust an Viktors Knie. Viktor streichelte Mischa und wandte den Blick wieder dem Papier in der Schreibmaschine zu. Seltsam, daß man ihn jetzt wieder aufgefordert hatte, für die Zeitung zu schreiben. Natürlich war das hier echter Journalismus. Und die Ereignisse waren noch frisch in ihm, er war noch voller Emotionen, hörte noch das Echo des frohen Kindergelächters vom Morgen.
Er begann den Artikel unerwartet mühelos. Unter seinen Fingerkuppen ratterte die Maschine los, Zeile um Zeile flog auf das Papier, und schon nach einer halben Stunde war der Artikel fertig. Er war nicht besonders lang, vier Schreibmaschinenseiten. Aber erfüllt von einem guten Geist und dem Aufruf, Gutes zu tun. Selbst der Hinweis auf Sergej Pawlowitsch im ganz neuen Kontext schrieb sich leicht und aufrichtig. Viktor erwähnte sogar die von ihm gespendeten Prothesen und den Billardtisch.
Nachdem er es noch mal durchgelesen hatte, stellte Viktor die Maschine an ihren Platz unter dem Tisch zurück. In diesem Moment kam Sonja im Schlafanzug in die Küche. Ohne den Blick von Viktor zu wenden, ging sie zum Tisch und setzte sich auf den Hocker.
»Was ist, hast du Durst?« fragte Viktor sie.
Sonja schüttelte den Kopf. »Was hast du da geschrieben?« fragte sie und nickte zu dem Artikel hinüber.
»Das ist für die Zeitung, eine Reportage über den heutigen Tag!«
[463] »Bist du jetzt wieder ein Journalist?«
»Nein.«
»Wenn ich groß bin, werde ich vielleicht auch Journalistin, dann sitze ich
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