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Pinguine frieren nicht

Pinguine frieren nicht

Titel: Pinguine frieren nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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Denn Mitinhaber der Zeitung war sein Ex-Chef Igor Lwowitsch. Der Chef war ein ›de jure‹-Verstorbener, und unter Viktors Artikel stand der Name eines ›de facto‹-Verstorbenen. Daraus konnte man etwas entwickeln, irgendeine betrunkene Theorie. Man konnte vielleicht eine Erzählung schreiben…
    Viktor trank mehr Wodka und dachte darüber nach, wie er mit jeder Woche immer mehr verlor. Er verlor seine Freiheit, oder ihre Reste. Er verlor Raum in seiner Wohnung, verlor sich selbst, wenn das nicht schon längst geschehen war. Es gab nur wenig Erfreuliches in seiner Lage: Mischas und Sonjas Anwesenheit, und die Tatsache, daß er sowohl de jure als auch de facto lebendig war. Und das hieß, daß er doch irgendwie noch vollwertiger und lebendiger war als ebendieser Igor Lwowitsch, der schon sein Grab besaß, mit Foto und Lebens- und Todesdaten.
    Mit jedem Schluck Wodka wurde Viktor nicht betrunkener, sondern von immer verzweifelterer Einsamkeit gepackt. Und irgendwann streckte sich die Hand einfach [470] nicht mehr nach dem schon gefüllten Glas aus. Die Stille in der Wohnung kam Viktor plötzlich bedrohlich vor, als Teil einer Falle, eines Hinterhaltes. Er starrte auf die geschlossene Tür und verspürte den Drang, sie aufzumachen und nachzusehen, ob dahinter nicht irgendeine Gefahr lauerte.
    Er stand vom Hocker auf, trat in den Flur und horchte auf die Stille. Dann sah er ins Wohnzimmer. Er hörte Ljoschas leises Schnarchen, ging leise zu ihm hin und beugte sich über sein Ohr.
    »Ljoscha, schläfst du?« fragte er flüsternd, während er dachte: ›Was für eine idiotische Frage an jemanden, der schnarcht und träumt!‹
    Trotzdem wiederholte er seine Frage noch zweimal direkt in Ljoschas Ohr, bis der sich rührte, die Augen aufschlug und den Kopf drehte.
    »Was ist los?« fragte Ljoscha.
    »Komm, laß uns was trinken«, schlug Viktor ihm vor.
    Ljoscha starrte Viktor verwundert an, aber Viktor bemerkte die Verwunderung nicht. Im Zimmer war es dunkel.
    »Was ist passiert?« fragte Ljoscha und stemmte sich auf die Ellenbogen.
    »Nur so, gar nichts… Mein Artikel ist erschienen… Wir wollen feiern…«
    Den Rollstuhl rührten sie nicht an, um nicht aus Versehen Sonja zu wecken, statt dessen trug Viktor Ljoscha in die Küche und setzte ihn an den Tisch. In diesem Moment kam auch Mischa durch die offene Tür und watschelte zu seinem Hocker am Herd.
    [471] »Na also«, sagte Viktor beim Anblick des Pinguins beruhigt. »So ist es schon besser… Zu dritt, wie es sich gehört…«
    Er holte Ljoscha ein Glas und schenkte ihm ein.
    »Irgendwie bist du nicht ganz bei dir«, sagte Ljoscha besorgt und sah Viktor in die Augen.
    »Ja, nicht bei mir, nicht bei dir… nirgends… Irgendwie ist mir zum Heulen…«
    »Ah ja!« sagte Ljoscha gedehnt. »Alles klar. Ich habe mich auch mit Wodka behandelt, als mir zum Heulen war… Entschuldige, aber haben wir vielleicht noch was anderes da? Mir ist nicht nach Wodka.«
    Viktor wurde aus seinen Gedanken gerissen. Er warf Ljoscha einen respektvollen Blick zu, sah erst in den Kühlschrank, dann in den Hängeschrank und zog von dort eine Flasche Kognak heraus.
    »Und der hier?« fragte er.
    Auf Ljoschas zustimmendes Nicken hin goß er den Wodka aus Ljoschas Glas in seines hinüber und füllte dessen Glas mit Kognak.
    Sie tranken und aßen was dazu.
    »Hast du mich nicht schon satt hier?« fragte Ljoscha plötzlich, sich über den Bart streichend.
    Viktor schnitt eine Grimasse und musterte seinen Bekannten scharf, ohne gleich zu antworten.
    »Verzeih«, fing Ljoscha wieder an. »Du hast mich schließlich aus der Sauferei geholt und zu dir gebracht. Und ich… wie soll ich sagen… habe deiner Nina hier den Hof gemacht, aber keine Angst, ist alles unter Kontrolle… ich bin nicht irgendein Schuft…«
    [472] »Hör auf!« unterbrach ihn Viktor. »Das geht mich nichts an… Mach ihr den Hof, soviel du willst!«
    Ljoscha zog erstaunt die Augenbrauen hoch.
    »Du schläfst doch mit ihr in einem Bett!«
    »Ich schlafe auf ihrer Bettkante… Und jetzt laß uns von was anderem reden!«
    Viktor schenkte wieder aus, sich Wodka und Ljoscha Kognak. »Weißt du, was Armwrestling ist?« fragte er.
    Ljoscha nickte.
    Viktor schob die Gläser Richtung Fensterbrett und stellte seinen rechten Arm mit dem Ellenbogen auf den Tisch. Ljoscha stellte lachend seinen Arm daneben. Sie legten die Handflächen aneinander und hielten sich dann gegenseitig fest.
    »Fertig, los!« kommandierte Viktor und spannte schnell

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