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Pinguine frieren nicht

Pinguine frieren nicht

Titel: Pinguine frieren nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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weiter«, sagte er und wühlte mit der Hand in der Tasche seines zerknitterten Jacketts. Er zog einige abgegriffene Banknoten heraus, blätterte sie mit der Geste eines professionellen Kartenspielers auf, nahm zwei 50-Griwni-Scheine und streckte sie Igor hin. »Du kannst gehen!«
    Igor nahm das Geld mit einem hintergründigen Lächeln. Er hob die Gitarre vom Boden auf. »Wenn Sie mich brauchen, kann ich wieder mal etwas singen…«
    »Da sei Gott vor!« entgegnete Sergej Pawlowitsch. »Geh, guter Mann!«
    Igor schob sich rückwärts aus der Küche. Der Hausherr wandte sich Viktor zu. »Und du, setz dich ein wenig zu mir, wir wollen uns unterhalten!«
    Sie setzten sich an den kleinen Ecktisch und schwiegen eine Weile. Dann erklärte Sergej Pawlowitsch, daß er manches Interessante über Viktors frühere Aktivitäten erfahren habe. Darauf schwieg er wieder und sah Viktor an, als ob er seine Reaktion beobachten wollte. Dabei hatte er nur die Zeitung und die ›Kreuzchen‹ erwähnt, dazu noch einen gewissen Seliwanow, unter dessen ›Dach‹ Viktor angeblich gearbeitet habe. Von den Begräbnissen mit Pinguin kein Wort.
    Die Pause dehnte sich. Viktor schwieg. Sergej Pawlowitsch stand auf, kochte Kaffee und stellte zwei Tassen und eine Zuckerdose auf den Tisch.
    »Keine Sorge«, sagte er sanft. »Alles wird gut. Und nach Moskau fährst du auch. Nur etwas später.«
    [69] Viktor zuckte zusammen und sah den Hausherrn aufmerksam an.
    »Keine Angst! Es wird wirklich alles gut. Nur, siehst du, du hast jetzt Seliwanow nicht mehr. Leider weilt er nicht mehr unter uns. Das heißt, du bist jetzt ohne ›Dach‹, und sollte es mal regnen, oder, noch schlimmer, hageln… Na, du verstehst schon selbst…«
    Viktor schüttete sich einen Löffel Zucker in den Kaffee, rührte um und trank einen Schluck. Er holte tief Luft. Der Alkohol verflüchtigte sich aus seinem Kopf. Das geschah langsam, und an seiner Stelle machte sich gleich eine andere Schwere breit, nicht körperlich, mehr seelisch. Es war, als trauerte er bereits um seine Freiheit, die er noch gar nicht richtig hatte genießen können. Er hatte sie nicht mal wahrgenommen, weil er gar nicht so weit gekommen war. Ein paar Schritte in die falsche Richtung, und schon war es passiert! Ein fremder Tod, ein Begräbnis ohne Pinguin, Neugier und Gefangenschaft, das war die banale und simple Kette von Ereignissen.
    »Der Mensch braucht nicht viel«, redete Sergej Pawlowitsch weiter. »Ein bißchen Essen, etwas Geld und ein Haus, also ein Dach über dem Kopf. Wie bei den Schnekken… Es gibt da ein Gesetz, das Gesetz der Schnecke. Du bist eine kleine Schnecke, dein Häuschen ist klein. Ich bin eine große, ich brauche ein größeres, festeres Haus. Vielleicht bin ich aus meinem Haus auch schon herausgewachsen, da muß ich mir ein neues bauen. Aber eine Schnecke ohne Haus nennt man Nacktschnecke. Und weißt du, wie man die behandelt und was mit ihnen passiert? Wenn du willst, gebe ich dir ein ›Dach‹…«
    [70] »Wozu brauchen Sie mich?« preßte Viktor heraus. »Sie haben doch alles, Sie sind Parlamentsabgeordneter…«
    »Was redest du denn da! Abgeordneter… Ich bin nur Kandidat, aber wenn ich erst gewählt bin, dann wird dein Dach noch solider. Überhaupt bist du ein freier Mensch! Ich schlage dir nur eine zeitweilige Arbeit vor. Verstehst du, anscheinend schreibst du gut über die Toten, während meine Jungs kaum lesen können. Ich kann jetzt einen wie dich gut gebrauchen – einen Menschen mit Phantasie und mit Lebenserfahrung… Du schreibst mir ein paar Reden, ein Programm. Du bist dem Volk doch näher und weißt, was es sich wünscht. Das ist zwar im Grunde nicht so wichtig, aber es ist doch schöner so. Und wenn ich dann im Parlament sitze – erledigt! Fahr nach Moskau, nach New York, nach Santiago de Chile! Wohin du willst!«
    »Und wenn Sie nicht gewählt werden?«
    »Du stellst die falschen Fragen! Mein Konkurrent ist ein Mann mit einer Narbe im Gesicht. Und außerdem hat er fast eine Glatze. Solche mag unser Volk nicht! Übrigens haben die Jungs versprochen, heute morgen etwas über deinen Pinguin herauszufinden.« Der Hausherr sah auf seine Uhr. »In ein, zwei Stunden werden wir hören, was dein Mischa macht! Und jetzt leg dich erst mal schlafen. Kluge Leute müssen mehr schlafen. Es heißt, der Schlaf verlängert ihr Leben.«
    [71] 9
    Ein guter Morgen kommt nie früh. Und diesmal wurde es ein wahrlich guter Morgen – Viktor wachte gegen Mittag auf. Diesmal hatte er

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