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Pinguine frieren nicht

Pinguine frieren nicht

Titel: Pinguine frieren nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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ohne Kleider geschlafen, mit allem Komfort unter der warmen Wolldecke. Und in das Dachfenster schien die Sonne und strich Viktor mit ihren Strahlen übers Gesicht, weckte und wärmte die Haut, bis er sich umdrehte und immer noch schlafend der Sonne den Rücken zukehrte. Aber dann öffneten sich die Augen langsam von selbst. Die Lider konnten sie nicht länger gegen die Sonne abschirmen, oder die Sonne war so hell, daß sie auch in die geschlossenen Augen drang. Vor dieser Sonne gab es kein Entkommen, genau wie vor dem Schicksal.
    Viktor hängte die Beine aus dem Bett und stieß an ein leeres Glas, das mit dumpfem Geräusch über den Holzboden kullerte. Er beugte sich vor und sah nach dem Glas, da erblickte er zwei weitere Gegenstände griffbereit neben seinem Sofa auf den Dielen: eine Flasche Bier und ein Öffner mit solidem Holzgriff. Man kümmerte sich um ihn. Viktor machte das Bier auf, goß ein und trank das Glas leer. Er dachte an die letzte Nacht und an den Tag davor. Dann dachte er an das nächtliche Gespräch mit dem Hausherrn. Er trank mehr Bier. Er wollte nicht nachdenken. Nachdenken tat weh, weniger im Kopf, mehr im ganzen Körper. Lieber nur Bier trinken und nicht denken. Aber vom Bier war nur eine Flasche da, und die Gedanken umschwirrten ihn wie Mücken in solcher Menge, daß er sie nicht verscheuchen konnte. Wieder sah er das nächtliche Gespräch vor sich, den Geländewagen, aus dem die [72] Kartons ausgeladen wurden, den Gitarristen ›aus der Unterführung‹. Aber heute morgen wollte Sergej Pawlowitsch ihm doch Nachrichten von Mischa bringen. Der Morgen war längst da, also warteten diese Nachrichten schon irgendwo in der Nähe auf ihn.
    Viktor stand auf, streckte sich und zog sich an. Er warf einen Blick in seinen Beutel, der in der Zimmerecke lag – alles war da: die Pässe, das Geld, der Brief samt Kreditkarte. Er brauchte nur alles einzustecken und zu gehen. Aber wohin? Wie Sergej Pawlowitsch in der Nacht gesagt hatte: Zur Zeit war er eine Schnecke ohne Haus. Eine Nacktschnecke also, die man aus Versehen oder auch absichtlich zertreten konnte, was am Ergebnis nichts änderte. Das eine tat so weh wie das andere. Und daß sie ihn so lange gesucht und in Teofania auf ihn gewartet hatten, sagte ja auch einiges. Es sagte, daß da jemand sehr gern jenen öden, schlecht geschriebenen Nekrolog abdrucken wollte, den der furchtsame Dicke auf ihn geschrieben hatte. Sie hatten einen Punkt hinter die Geschichte gesetzt, aber keinen Punkt hinter ihm machen können – weil sie ihn nicht gefunden hatten! Das Glück hatte ihn gerettet. Das Spielglück. Das Roulette und das Plastikspielgeld, mit dem man in jener Spielzeugwelt das eigene Leben einlösen, sich aus den feindlichen Umständen freikaufen und eine Zeitlang in der Antarktis einfrieren konnte. Lachen und Trauer. Immer gemeinsam, Hand in Hand.
    Aber wenn man es in die Antarktis schaffte, konnte man auch in anderen Lagen überleben. Und wenn man schon überlebte, so kam man auch nicht weiter als bis in die Antarktis!
    [73] Viktor stieg die Treppe hinunter. Im Haus war es leer und still. Keine Menschenseele war da.
    In der Küche warf er wieder einen Blick in den Kühlschrank und fand Wurst und Butter. Etwas regte sich in seiner Erinnerung, und er öffnete den Gefrierschrank. Mit dumpfem Staunen musterte er die kopflosen Fische, die Beutel mit den Königskrabben und die zwei eingefrorenen Schildkröten.
    »Vielleicht für Schildkrötensuppe?« überlegte er. Dann schlug er die Tür zu.
    Er aß und spülte mit Bier nach, das er sich direkt aus der Kiste in der Ecke geholt hatte. Bier gab es dort noch reichlich. Das war ein wunderbares Morgengetränk, wie für die Franzosen ihr Kaffee! Mit dem Erwachen kam eine angenehme Schwere, Langsamkeit und die unbewegliche Selbstsicherheit eines Denkmals.
    Und dann fuhren zwei Wagen in den Hof. Sergej Pawlowitsch tauchte auf, nachdenklich und offenbar wegen irgend etwas beunruhigt. Er schaute kurz in die Küche hinein.
    »Wenn du fertig bist, komm in den Keller, die Treppe ist rechts vom Eingang.«
    Viktor nickte. Es ging alles so einfach – Bier trinken, Wurstbrot essen und nicken.
    Im Keller stand ein großer Billardtisch, daneben eine Bar mit drei hohen, einbeinigen Hockern. Hinter der Bar befand sich eine Tür, die nur zu einer Sauna führen konnte.
    Sergej Pawlowitsch spielte Billard mit sich selbst. Er stieß die Kugeln, ohne zu zielen, in Gedanken vertieft. Als er Viktor sah, lächelte er.
    [74] »Spielst

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