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Pinguine frieren nicht

Pinguine frieren nicht

Titel: Pinguine frieren nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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du?« fragte er und nickte zum Billardtisch.
    »Ich habe es mal probiert.«
    »Na, los, dann probieren wir noch mal!« Er nahm das Dreieck, legte die Kugeln hinein und wies auf den Ständer mit den Queues.
    Viktor nahm sich ein längeres Queue.
    Sergej Pawlowitsch stieß als erster. Zwei Kugeln rollten sofort in die Taschen. Viktors Queue kam gar nicht erst zum Einsatz. Eine Kugel nach der anderen verließ den Tisch, und am Ende zuckte der Hausherr schuldbewußt die Achseln.
    »Tut mir leid«, sagte er. »Das passiert mir oft. Ich will die anderen spielen lassen, und sie kommen einfach nicht zum Zuge!… Gehen wir in die Küche!«
    Sie stiegen hinauf und ließen sich an dem kleinen Ecktisch nieder, an dem Viktor noch kürzlich mit dem heimatlosen Gitarristen gesessen hatte.
    »Haben Sie etwas über Mischa herausbekommen?« fragte Viktor.
    »Über Mischa? Dein Mischa ist fort, weißt du… Er ist nicht mehr in Kiew. Aber Ljoscha haben wir gefunden. Vielleicht kann der dir was erzählen.«
    »Wo ist er?«
    »Er führt jetzt ein Café in Tatarka. Es heißt ›Afghanistan‹, ein hübscher Ort, am Berg.«
    »Kann ich da hinfahren?« fragte Viktor zweifelnd.
    »Aber selbstverständlich! Hast du denn gedacht, du bist hier im Gefängnis? Nein, du hast einen Job. Nach der Arbeit darfst du dich amüsieren!«
    »Fürchten Sie denn nicht, daß ich abhaue?«
    [75] »Na, du bist doch kein Narr! Außerdem legen wir deine beiden Pässe für eine Weile in meinen Safe. Damit sie dir keiner aus der Tasche klaut! Das ist doch bei uns in Kiew jetzt die reinste Katastrophe, aus der ganzen Ukraine reisen die Taschendiebe an. Mal mausen sie dir das Handy, mal die Brieftasche… Ach ja, und in deinem eigenen Interesse, erzähl keinem deiner alten Freunde, daß du wieder hier bist.«
    Viktor nickte. Er zog seine beiden Pässe raus und übergab sie Sergej Pawlowitsch.
    »Na siehst du, wie vernünftig!« Sergej Pawlowitsch lächelte. »Du hast das Gesetz der Schnecke schnell verstanden. Jetzt ist hier« – er machte eine ausladende Geste – »dein Haus. Bei Gefahr: rasch hierher, unters Dach! Klar?«
    10
    Die zur Hälfte schlaflos verbrachte Nacht machte sich bemerkbar, aber das Wetter munterte Viktor auf. Die Spätnachmittagssonne blendete die Augen. Er fuhr bis nach Kurenewka und ging dann zu Fuß weiter zur Nagornaja-straße. Es gab fast keine Passanten, nur hin und wieder jagten Autos in ungesundem Tempo an ihm vorbei, ohne Rücksicht darauf, daß der Asphalt so voller Löcher war wie ein Emmentaler Käse.
    Das Café ›Afghanistan‹ befand sich im Erdgeschoß irgendeines wissenschaftlichen Institutes. Zum leicht erhöhten Eingang führte anstelle von Stufen eine Art kleine [76] betonierte Rampe mit Geländer hinauf. Die Doppeltür an ihrem Ende stand offen, und Viktor lief mit zwei Schritten die Rampe hoch und trat ein. Hinter dem erstaunlich niedrigen Tresen war kein Mensch. Im Raum gab es ein paar Tische, auch die erstaunlich niedrig, wie Zeitungstischchen. Und keinen einzigen Stuhl. Neugierig ging Viktor zum Tresen und spähte dahinter; da glänzten die verchromten Griffe und Knöpfe einer Siemens-Kaffeemaschine, daneben standen und hingen halbvolle Flaschen und kopfüber freundschaftlich nebeneinander aufgereihte kleine und große Gläser.
    Viktor nahm eine Münze aus der Tasche und ließ sie auf den Tresen klimpern.
    »Komme gleich!« erklang eine irgendwie bekannte Stimme.
    Viktor starrte auf die weiße Tür hinter der Bar. Hinter der Tür knirschte etwas. Sie ging auf, und der bärtige Ljoscha kam im Rollstuhl herausgefahren.
    Viktor sah ihn an, ohne einen klaren Gedanken zu fassen. Er hatte gleich bemerkt, daß Ljoscha keine Beine mehr hatte. Und das, was von ihm noch übrig war, steckte in einem Kampfanzug.
    »Oh!« sagte Ljoscha verblüfft, als er den Besucher erkannte. »Du?«
    »Ja.«
    »Na so was!« Es entstand eine lange Pause, in der auf Ljoschas Gesicht immer noch ungläubiges Staunen herrschte. »Du lebst?«
    Viktor nickte. »Und du?«
    Ljoscha lachte bitter. »Ich auch. Nur rennen ist [77] schwierig…« Er sah hinunter auf die umgeschlagenen und irgendwie oben festgesteckten Hosenbeine seines Tarnanzuges. »Na, setz dich, ich koche dir einen Kaffee!«
    Viktor sah sich im Saal um.
    »Ach ja, geh mal dort hin«, sagte Ljoscha und nickte hinüber zu der offenen Tür, durch die er herausgekommen war. »Da steht noch ein Rollstuhl, für Gäste.«
    Viktor ging in die Kammer und erblickte drei verchromte Rollstühle,

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