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Pinguine frieren nicht

Pinguine frieren nicht

Titel: Pinguine frieren nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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Ehre erweisen.«
    [59] 8
    Der Leichenschmaus begann für Viktor damit, daß man ihn durchsuchte. Man zog ihm alles aus den Taschen, packte es in einen Beutel und trug es fort. Dann wies man ihn mit einem Kopfnicken Richtung Tür – er durfte reingehen.
    Die meisten Gäste saßen nicht lange in dem großen Salon mit dem Kaminfeuer am Tisch; man trank auf den Verstorbenen und ging bald auseinander. Etwa acht Leute blieben. Zu dem Zeitpunkt hatte Viktor schon begriffen, daß Sergej Pawlowitsch hier der Hausherr war und daß der Tote der Mann seiner Tochter Natascha gewesen war, die auch mit am Tisch saß. Was der Tote im Leben gemacht hatte, blieb im dunkeln. Irgendwann hörte Viktor, daß er auf der Jagd durch einen Blindgänger umgekommen war. Einfach eine unglückliche Verkettung von Umständen – in der Nähe hatten betrunkene Militärs gejagt. Einer von ihnen hatte auf den Verstorbenen gefeuert, weil er durch die Blätter nicht gesehen hatte, daß da ein Mensch stand und kein Elch.
    »Nun ja, Unfälle gibt es bei uns eben reichlich«, sagte Sergej Pawlowitsch, bevor er das nächste Glas Wodka hinunterkippte.
    Später betrat einer der Wächter, die Viktor durchsucht hatten, den Raum, begab sich direkt zum Hausherrn und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Viktor begriff gleich, daß es um ihn ging, denn der Hausherr sah sofort in seine Richtung. Dann kam der Wächter zu Viktor und händigte ihm den Inhalt seiner Taschen aus.
    [60] Er drückte ihm einfach den Beutel in die Hand, und Viktor sah auf der Stelle nach. Alles war an seinem Platz: die Dollars, der Brief des Bankiers, die Kreditkarte und zwei Pässe, der polnische und der ukrainische.
    Ihm gegenüber saß eine etwa vierzigjährige Frau in einem schwarzen Jäckchen, das ihre zierliche Gestalt noch schmaler machte. Wer sie war und wie sie hieß, wußte Viktor nicht. Niemand hatte ihn hier vorgestellt, aber er hatte bei den Trauergästen auch kein besonderes Erstaunen über seine Anwesenheit bemerkt.
    Der Hausherr selbst sprach ein paar lahme Worte über den Verstorbenen, dann erhoben sich noch zwei Männer. Sie stammelten hastig und peinlich berührt einige Banalitäten und beschlossen sie mit dem üblichen ›Möge die Erde ihm leicht sein‹.
    Irgendwann bemerkte der schon einigermaßen betrunkene Sergej Pawlowitsch: »Wie ist das traurig hier!«, beorderte mit strengem Blick einen der am Tisch sitzenden Wächter zu sich und gab ihm den Auftrag, zum Kreschtschatik zu fahren und ›Musik aus der Unterführung‹ herzubringen.
    Viktor hatte auch schon einiges getrunken. Gegessen hatte er nur Kohlrouladen, weil der Teller mit den Kohlrouladen direkt vor ihm stand. Verwundert hörte er von der ›Musik aus der Unterführung‹. Alles klärte sich jedoch ziemlich bald. Nach etwa vierzig Minuten erschien der Wächter wieder, und er kam nicht allein: Er hatte einen verwirrt wirkenden, unrasierten Burschen mit einer Gitarre mitgebracht. Der Bursche war ein wenig abgerissen, sein Gesicht glänzte bleich, und in den Augen leuchtete ein [61] irgendwie ungesundes Feuer. Er sah sich mit fiebrigen Augen in dem großen Raum um, und sein Blick blieb an dem Tisch hängen.
    »Wir trauern hier«, sagte Sergej Pawlowitsch laut zu ihm, und der Bursche fuhr zusammen, hob rasch den Kopf und sah den Hausherrn an.
    »Kennst du traurige Lieder?« fuhr der Hausherr fort.
    Der Bursche nickte. Der Wächter brachte ihm ein Glas Wodka und ein Stück Schwarzbrot.
    »Na, dann los!« befahl Sergej Pawlowitsch. »Da, stell dich dort vor den Kamin und sing!«
    Am blauen Himmel strahlt ein Stern, stimmte der Bursche rauh an. Sergej Pawlowitsch lächelte und trank noch einen Wodka. Dann setzte er sich mit einem weiteren Glas Wodka zu Viktor.
    »Langweilst du dich hier auch nicht mit uns?« fragte er.
    »Nein«, antwortete Viktor.
    »Das ist gut. Ich sehe, du bist kein uninteressanter Zeitgenosse… Und du fährst demnächst nach Moskau?«
    Viktor begriff, daß der Leibwächter den Brief des Bankiers an seine Frau gelesen und dem Chef davon berichtet hatte.
    »Noch nicht gleich. Erst muß ich Mischa-Pinguin finden…«
    »Weißt du was, ich helfe dir, deinen Mischa zu finden, und du, wo du schon den Kurier machst, bringst auch für mich etwas nach Moskau. Einverstanden? Wenn solche Leute dir vertrauen, heißt das, du bist ein zuverlässiger Mann, und so jemand ist selten…«
    »Dann finden Sie vielleicht auch heraus, was aus Ljoscha [62] geworden ist?« bat Viktor, der spürte, daß dieser Mensch

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