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Pinguine frieren nicht

Pinguine frieren nicht

Titel: Pinguine frieren nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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tatsächlich einiges bewirken konnte.
    »Das tu ich, ich erkundige mich nach deinem Ljoscha«, nickte der Grauhaarige und hob das Glas. »Na komm, auf unsere Bekanntschaft!«
    Viktor hob dem anderen sein Glas entgegen und wollte schon anstoßen, aber Sergej Pawlowitsch schüttelte den Kopf. »Beim Leichenschmaus wird nicht angestoßen!«
    Sie kippten den Wodka schweigend hinunter.
    »Wir reden noch.« Sergej Pawlowitsch erhob sich und kehrte an seinen Platz zurück.
    Der Gitarrist aus der Unterführung sang ein weiteres Lied, diesmal über das harte Los eines Drogenabhängigen. Die Zeit bewegte sich unmerklich dem Abend entgegen. Hinter den Fenstern dämmerte es. In Viktors Kopf dämmerte es allerdings noch schneller, und er schlief einfach ein. Ehe sein Kopf auf den Tisch sank, gelang es ihm noch, den Teller mit den übriggebliebenen Kohlrouladen zur Seite zu schieben.
    Ein Leibwächter weckte ihn. Verschlafen und betrunken ließ Viktor den Blick durch den Raum streifen, blieb an dem erloschenen Kamin hängen und erkannte, daß niemand mehr am Tisch saß. Der Leibwächter brachte ihn in den zweiten Stock in ein kleines Dachzimmer. Dort stand ein rotes Jugendsofa mit einer dicken, rot-schwarz gestreiften Wolldecke. Viktor legte sich gleich hin, ohne sich auszuziehen. Er zog sich die Decke über den Kopf und schlief gleich wieder ein.
    Mitten in der Nacht wurde ihm warm, und er stand auf, öffnete das kleine Fenster und legte sich wieder hin.
    [63] Irgendwann hörte er im Halbschlaf, wie draußen auf dem Hof jemand laut redete. Wieder stand er auf und trat ans Fenster, aber das Fensterchen war ein Dachfenster und blickte in einem 45-Grad-Winkel in den dunklen Nachthimmel hinauf. Dafür wurden die Worte draußen auf einmal deutlicher.
    »Stell es so an, daß er es nicht übelnimmt!« erklang die Stimme des grauhaarigen Hausherrn.
    »Ehrensache«, antwortete eine unbekannte junge Stimme.
    Dann sprang ein Motor an, und ein Wagen fuhr davon.
    Die Nacht vor dem Fenster wurde wieder still, keine Geräusche, keine Stimmen mehr. Aber Viktor war jetzt unangenehm wach. Er fühlte, wie seine trockene Kehle kratzte. Er knipste das Licht an und sah sich mit leicht schwankendem Blick um, blickte an sich herab, und als er merkte, daß er immer noch angezogen war, beschloß er, die Küche zu suchen und einen Schluck Wasser zu trinken.
    Draußen sah er sich um und versuchte, sich seine Tür zu merken. Dann ging er den Flur entlang zu einer ziemlich steilen Holztreppe. Er stieg hinunter in den ersten Stock. Dort wurde die Treppe schon breiter. Im Erdgeschoß kam Viktor zuerst in den schon bekannten großen Salon mit dem offenen Kamin. Dann fand er die Küche. Durch die vorhanglosen Küchenfenster schien das diffuse Licht einer Straßenlaterne herein. Viktors Blick fiel gleich auf den zwei Meter hohen Kühlschrank. Er ging hin und öffnete die obere Tür, und das jetzt in der Kälte drinnen aufleuchtende Lämpchen übergoß den Küchenboden mit einem See aus gelbem Licht. Viktor kniff die Augen zusammen [64] und betrachtete aufmerksam den Kühlschrankinhalt. Er nahm eine Tüte Orangensaft und eine Dose Tonic heraus.
    »Licht aus!« erklang plötzlich ganz in der Nähe hinter seinem Rücken eine müde Stimme.
    Viktor drehte sich um und erblickte in der anderen Küchenecke den Straßengitarristen, der am Vorabend die traurigen Lieder gesungen hatte. Er saß an einem kleinen Ecktisch, eine offene Konservendose vor sich, daneben eine Flasche Wodka und ein Glas.
    »He, bitte, weg mit dem Licht!« wiederholte er.
    Viktor schloß die Kühlschranktür und sah sich wieder um. Jetzt sah er den Burschen nicht mehr. Er mußte ein paar Minuten warten, bis sich die Augen wieder an das Halbdunkel in der Küche gewöhnt hatten.
    In der Ecke des Gitarristen flammte ein Streichholz auf. Es erlosch und machte dem zittrigen Glühen einer Zigarette Platz.
    »Willst du was essen?« fragte der Bursche nach einer Pause.
    »Trinken«, antwortete Viktor.
    Er fand ein Glas und mixte sich Saft mit Tonic. Er schnupperte und wunderte sich, daß er keinen Tabakrauch roch.
    »Setz dich!« erklang wieder die Stimme des Burschen. »Trinken wir!«
    Viktor nahm einen Stuhl, setzte sich dem Gitarristen gegenüber und stellte sein Glas vor sich hin.
    Der Bursche hob die Wodkaflasche und goß sich ein, dann goß er von dem Wodka auch in Viktors Saft mit Tonic.
    [65] »Gutes Haus hier«, sagte der Bursche. »Und der Kühlschrank randvoll – da kannst du dich einen Monat lang

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