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Pinguine frieren nicht

Pinguine frieren nicht

Titel: Pinguine frieren nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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drangeklebt…«
    Paschas ganze Haltung zeigte, daß er Viktors Ideen nicht begriff, sie aber sehr gern begreifen wollte. Da nahm Viktor das Paßbild mit Narbe, Nase und ohne Lächeln und drehte es in der Hand wie ein Gewinnlos der Lotterie ›Vergnügen‹. Er erklärte, daß man es auf die Maße des Wahlplakates vergrößern mußte, damit es aussah, als wären beide gleichzeitig gedruckt worden. Und über beiden die Reklame einer Kosmetikfirma…
    Pascha lächelte, aber nur halb. Man sah, daß er Viktors Idee trotzdem nicht ganz begriff. Irgend etwas sagte Pascha jedoch, daß dieser Viktor kein Narr war und sich der Zorn seines Chefs bald in Wohlgefallen auflösen würde.
    Der Chef stieg auf Viktors Idee nur langsam ein, aber als er dann soweit war, leuchteten seine Augen unternehmungslustig.
    »Eine Kosmetikfirma?« überlegte er laut. »Kosmetik ist ein gutes Geschäft, also bringt es jemandem gutes Geld, und ein Teil davon geht in die Wahlen!… Pascha!« Er wandte sich zu dem Leibwächter, der jetzt an der Küchentür stand und beobachtete, wie der Chef allmählich zu [109] seinem normalen Gemütszustand zurückfand. »Pascha, ruf Potapytsch an, er soll rausfinden, welche Kosmetikfirma unserem Mann hier unter die Arme greift!«
    Pascha ging hinaus. Der Chef sah wieder Viktor an.
    »Gut gemacht!« sagte er. »Schläft die Brigade noch?«
    Viktor nickte.
    »Ja, übrigens«, Sergej Pawlowitsch zog einen Schlüssel aus der Jackettasche und reichte ihn Viktor, »das ist der zum neuen Schloß, den vom alten hast du doch noch?«
    Viktor starrte wortlos auf den Schlüssel.
    »Das ist der zu deiner Wohnung«, verdeutlichte der Chef.
    »Und wer ist jetzt dort?« fragte Viktor vorsichtig.
    »Wer schon? Deine Sonja mit ihrem Kindermädchen. Das Kindermädchen bekommt ein Gehalt und erhebt sonst keine Ansprüche.«
    »Und das Kindermädchen ist das alte?« wollte Viktor vorsichtig wissen.
    »Na die, die du engagiert hast, wie heißt sie, Nina?«
    »Und dieser Kolja?«
    »Dein Kolja heißt Senja. Ein interessanter Typ, er ist zur Zeit mein Gast. Nur nicht hier, sondern in einer anderen Wohnung. An ihm werden zur Zeit erzieherische Maßnahmen durchgeführt. Übrigens, wenn du nach Hause fährst, schau dich dort aufmerksam um, er kann alles mögliche dagelassen haben… Er war als Kurier zwischen Odessa und Kiew unterwegs. Zuerst harte Drogen, dann Plastiksprengstoff. Da ist die Nachfrage jetzt fünfmal so hoch – die Wahlen!«
    »Wann kann ich mal zu Hause vorbeifahren?« fragte Viktor.
    [110] Sergej Pawlowitsch sah auf die Uhr.
    »In zwei Stunden bringt Pascha dich dort hin und wieder zurück.«
    Als er Viktors fragenden Blick bemerkte, lächelte Sergej Pawlowitsch väterlich.
    »Sei nicht beleidigt, er wird dich nicht bewachen, sondern beschützen. Unterschied klar? Ich brauche deine Gehirnzellen in Funktion und nicht auf dem Asphalt verteilt…«
    17
    Vor den Fenstern des Geländewagens flog die Straße der Roten Armee vorbei. Am Tolstoj-Platz standen sie eine Weile im Stau. Dann ging es weiter ohne Halt, und fünfzehn Minuten später verließ der Wagen die Straße, bog erst nach rechts, dann nach links ab.
    Rechts zog der Müllcontainer an ihnen vorüber, hinter dem auf dem offenen Platz als einsame und klägliche Kopie des Eiffelturms der Taubenschlag stand. Hier war Viktor vor weniger als einem Jahr mit Sonja, Sergej und Mischa-Pinguin spazierengegangen. Auch die harmlosen, streunenden Hunde liefen noch irgendwo herum.
    Viktor hatte auf einmal das seltsame, verwirrende Gefühl, als hätte man ihn in einem speziellen Taucheranzug für einen Augenblick in die Vergangenheit hinabgelassen. Und wenn er Angst bekam, brauchte er nur an der unsichtbaren Leine zu rucken, die nach oben, in die Wirklichkeit, führte, und man würde ihn sofort hinaufziehen, [111] ihm aus dem Taucheranzug helfen und ihn verschnaufen lassen, damit er nachdenken und sich endgültig entscheiden konnte – wollte er wirklich in die Vergangenheit hinunter?
    Der Wagen hielt vor Viktors Haustür, und Viktor sah Pascha aufmerksam ins Gesicht. Pascha war also schon mal hier gewesen.
    »Ich warte beim Transformatorhäuschen«, sagte Pascha.
    Viktor stieg schweigend aus.
    Vor seiner Tür zögerte er. Er hielt zwei Schlüssel in der Hand, doch sein Blick wanderte zum Klingelknopf. Sie würden ihm ja aufmachen, wenn er klingelte. Entweder Sonja oder Nina. Aber damit brachte er sich gleich in die Rolle des Gastes: Man ließ ihn ein, man öffnete ihm die Tür.

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