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Pinguine frieren nicht

Pinguine frieren nicht

Titel: Pinguine frieren nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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Richtung Plakat und seufzte. »Schau dir seine Fresse an! Warte! Pascha, bring mal Fotos aus unserem Archiv!«
    Pascha kam kurz darauf mit einem großen braunen Umschlag zurück. Er zog ein Dutzend großformatiger Papierbilder heraus und gab sie Viktor.
    Viktors Blick blieb an einem der Fotos hängen. Es war ein Schnappschuß von einem Mann, der dem Wahlkonkurrenten sehr ähnlich sah.
    »Wer ist das, sein Bruder?« fragte Viktor.
    »Das ist er!«
    Viktor legte das Foto neben das Plakat und begriff sofort den Grund für Sergej Pawlowitschs plötzlichen Stimmungswandel.
    Das Gesicht auf dem Plakat hatte eine amerikanisch reine Haut und Züge von griechischem Ebenmaß. Dagegen zierten das gleiche Gesicht auf dem Foto eine Narbe auf der rechten Wange und eine krumme Boxernase. Das war der ganze Unterschied.
    [106] »Also, ich gebe euch eine halbe Stunde! Denkt euch was aus! Habe ich mich klar ausgedrückt?« Sergej Pawlowitsch schoß dem Leibwächter einen scharfen Blick zu. Dann sah er Viktor an. »Und du, geh diese Brigade wecken und stell ihnen die Aufgabe. Sollen sie auch nachdenken! Daß sie mir in einer halben Stunde zeigen, wie man die Narbe wieder an ihren Platz bekommt!«
    Die Tür schlug zu, und der Leibwächter und Viktor waren allein. Pascha seufzte schwer.
    »Jetzt sitzen wir in der Tinte«, sagte er langsam. »Wir sind doch nicht der Geheimdienst, daß wir wissen, wo sie welche Plakate drucken! – Und was jetzt?« Er sah Viktor ratlos an. »Was machen wir jetzt?«
    »Ich gehe und wecke Schora.« Viktor erhob sich vom Tisch, setzte sich aber unter Paschas plötzlich scharfem und gebieterischem Blick gleich wieder hin.
    »Wecken kannst du sie später, erst streng mal selbst dein Hirn an!«
    »Wir können ihm ja nicht gut auf jedes Plakat eine Narbe malen!« Viktor zuckte die Achseln.
    »Hör zu.« Paschas Blick und Ton wurde weicher. »Ich werde für Muskeln und Ergebenheit bezahlt und du für dein Köpfchen! Also benutz es!«
    Jetzt seufzte Viktor. Er begann zu überlegen. Er schaute auf den Tisch, wo das Wahlplakat und das Foto lagen, mit und ohne Narbe. Darunter lag der braune Umschlag mit den anderen Fotos des Konkurrenten. Viktor zog ihn hervor und sah sich die Bilder an. Sein Blick fiel auf eine Art Paßfoto. Hier trat die Narbe auf der Wange schön hervor, und die Nase war noch krummer als auf den anderen [107] Aufnahmen. Viktor nahm es in die Hand und studierte es genauer. Dann sah er wieder auf das Plakat. Auch das war ein frontales Porträt, aber neben der Narbe und der Nase entdeckte Viktor noch einen bedeutsamen Unterschied: Von dem ›gereinigten‹ Plakatgesicht strahlte ein selbstsicheres, amerikanisches Lächeln, die Miene auf der ›Archivaufnahme‹ war dagegen finster, mit zusammengepreßten Lippen, was dem Gesicht einen gehetzten Ausdruck gab, wie einem in die Enge getriebenen Tier. Diesen Unterschied fand Viktor plötzlich wichtiger als fehlende oder vorhandene Narben.
    »Mach mir mal einen Kaffee«, bat er Pascha frohgemut. Pascha sah, daß Viktor auf halbem Wege zu einer Lösung ihres Problems war, stand rasch auf und ging zum Herd.
    Viktor wandte den Blick und seine Gedanken wieder den zwei Porträts zu. Eine Fernsehreklame für das Waschmittel Tide fiel ihm ein. Da gab es zwei Hemden zu sehen, eines sauber gewaschen, das andere noch mit einem bräunlichen Fleck. ›Reinheit – rein Tide!‹ Pascha sah sich nach ihm um, als spürte er die Energie von Viktors Idee, die den Chef und sie beide erlösen sollte.
    Viktor drehte im Geiste schon einen Reklamespot, der statt zweier identischer, doch unterschiedlich sauberer Hemden zwei identische, doch unterschiedlich ›saubere‹ Gesichter des Abgeordnetenkandidaten zeigte. Der Film lief in seiner Vorstellung bereits ab, obwohl er wußte, daß ihnen keiner gestatten würde, ihr Problem übers Fernsehen zu lösen. Dazu war ihr Kandidat doch nicht bedeutend genug. Aber Information konnte man doch auf Tausende Arten verbreiten, bis hin zu Graffiti!
    [108] »Na, und?« fragte Pascha hoffnungsvoll, während er Kaffee aus dem türkischen Kännchen einschenkte.
    »Alles klar! Und ohne jeden PR -Mann!«
    »Siehst du, wie gut es ist, die Leute schlafen zu lassen!« sagte Pascha lachend. »Los, erzähl!«
    »Man muß seine Plakate ergänzen.« Viktor lächelte und sah Pascha direkt in die blauen Augen.
    Der Leibwächter kniff die Augen zusammen.
    »Das, was fehlt«, fügte Viktor hinzu. »Genauer gesagt, an seine Plakate wird ein zweites

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