Pinguine frieren nicht
Dabei war er doch der Hausherr. Er war einfach nur lange weggewesen.
Viktor gab sich einen Ruck und schloß die beiden Schlösser auf, aber bevor er die Tür aufstieß, klingelte er doch. Dann trat er in den Flur. Er sah sofort den Milchteller auf dem Boden. Der war für die Katze, die kratzte.
Die Zimmertür knarrte, und Sonja im Jeansträgerrock mit aufgestickten Blümchen guckte heraus. Ihr Blick wanderte an Viktor hoch und machte an seinem Gesicht halt.
»Hallo!« sagte Viktor leise.
»Hallo!« antwortete Sonja.
»Bist du allein?«
Sie schüttelte den Kopf.
Viktor seufzte. Er zog sich die Schuhe aus, ging ins Zimmer und erstarrte. Dieses Zimmer kannte ihn nicht, es war ein völlig fremdes Zimmer mit rosa Tapeten und grünen [112] Gobelinüberwürfen auf dem Sofa und den Sesseln. Den Tisch bedeckte ein rosa Tischtuch mit Spitzenborte.
Viktor sah sich um und suchte nach etwas Wiedererkennbarem. Er ging zum Tisch und zog das Tuch weg. Das polierte Holz der Tischplatte schien ihn geradezu anzulächeln.
»Gefällt dir die Renovierung nicht?« fragte Sonja an der Tür.
»Nein«, gestand Viktor.
Sonja öffnete die Tür zum Schlafzimmer und rief hinein: »Nina, Onkel Witja gefällt die Renovierung nicht!«
Viktor ging ins Schlafzimmer, und da sah er Nina. Sie saß auf dem Doppelbett, das es früher auch nicht gegeben hatte, im geblümten Morgenmantel und starrte auf den Boden. Ihre Augen waren verweint.
»Grüß dich«, sagte Viktor und verspürte eine merkwürdige Beklommenheit.
Nina blickte auf und sah ihn an. Sie nickte zur Antwort und biß sich auf die Lippen.
»Wieso seid ihr denn so, wie zwei Katzen?« fragte Sonja plötzlich.
»Sonja, geh mal raus!« bat Viktor. »Spiel mit der Katze.«
»Die ist aber draußen!«
»Dann geh einfach so raus!«
Sonja ging ins Wohnzimmer, ohne die Tür hinter sich zu schließen. Viktor schloß die Tür. Jetzt stand er da und sah schweigend auf Nina, die noch nichts gesagt hatte.
»Na, wie geht’s?« unterbrach er endlich die Stille.
»Wie es geht?« gab sie tränenerstickt zurück. »Da fragst du noch? Alles, was ich mir geschaffen habe, mein ganzes [113] Glück einfach in einer halben Stunde zerstören und in den Schmutz treten…«
»Welches Glück?« fragte Viktor aufrichtig verwundert. »In welcher halben Stunde?«
»Tu doch nicht so! Das hast doch du alles organisiert! Ich weiß es! Man hat mich gewarnt, und ich blöde Kuh habe es nicht geglaubt!«
Viktor bemerkte plötzlich, daß Nina runder geworden war, und der Gürtel, der den Morgenmantel zusammenhielt, unterstrich das noch. Er hatte auf einmal überhaupt keine Lust mehr, mit ihr zu streiten oder zu reden. Viktors Blick wurde finster und kalt. Nina bemerkte es sofort und verstummte.
»Nein, verzeih bitte, das kam einfach so raus! Ich habe mich nur erschrocken, als sie gestern gekommen sind. Ich bin einverstanden, das habe ich ja gestern gesagt. Ich verlange auch gar nichts!«
»Gut«, sagte Viktor. »Mach uns einen Tee, bitte!«
Nina ging hinaus. Viktor trat ans Fenster und sah hinaus auf den Platz mit dem Taubenschlag und dem Müllcontainer. Links sah man das äußerste Ende des niedrigen Kindergartenzauns, unter dem er als kleiner Junge seinen ersten toten Hamster beerdigt hatte. Im Zimmer war es kühl. Bis sie die zentrale Heizung anwerfen würden, blieb noch ein ganzer Monat, und auch wenn dann geheizt wurde, kroch die Wärme immer nur langsam in den vierten Stock hoch.
Er hörte ein Geräusch an der Tür und drehte sich um.
»Tante Nina hat gesagt, der Tee ist fertig.«
In der Küche war Gott sei Dank alles wie früher. Oder [114] wenigstens fast alles. Nur auf dem Fensterbrett fehlte etwas. Etwas sehr Wichtiges.
»Und wo ist Sergej?« fragte Viktor.
Nina sah ihn erstaunt an. »Welcher Sergej?«
Viktor wies mit dem Blick auf den Platz, auf dem bis zu seiner Flucht die Urne mit der Asche von Sergej Fischbein-Stepanenko gestanden hatte.
»Auf dem Balkon… Sie war hier im Weg…«
»Bring sie und stell sie wieder hin.«
Nina ging auf den Balkon, brachte die Urne und stellte sie auf das Fensterbrett beim Herd. Mit dem Geschirrschwamm rieb sie Staub und Schmutz von ihr ab. Dann setzte sie sich auf den Hocker, auf dem früher immer Mischas Schälchen gestanden hatte.
»Guck alle Sachen genau durch«, sagte Viktor. »Und leg alles, was dein Kolja dir dagelassen oder vergessen hat, in eine Tüte oder Tasche. Wenn du etwas Verpacktes findest, mach es nicht auf. Es kann gefährlich
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