Pinguine frieren nicht
Fenster, in dem ein tiefblauer Himmel leuchtete. Die dicken Wolken waren nicht mehr da. Dafür quäkte draußen durchdringend eine Autohupe.
Viktor drehte sich mit dem Gesicht zur Wand und beschloß weiterzuträumen. Aber auf dem Hof war irgendwas los, Rufe, Lärm und Hektik.
Vorsichtshalber stand er auf und schaute in den Flur. Schritte und Stimmen drangen von unten herauf, und die Holztreppe knarrte unter festen Tritten.
Er zog sich wieder ins Zimmer zurück und setzte sich aufs Bett. Sein Kopf weigerte sich zu arbeiten. Er legte sich noch mal rücklings auf seine Decke.
›Was ist da los?‹ überlegte er. ›Vielleicht sollte ich runtergehen und nachsehen?‹
Aber dann ging er nirgendwo hin, sondern öffnete nur das Dachfenster ein wenig weiter und sog die frische Morgenluft ein. Sie roch schon nach Herbst, nach gelben Blättern und leichter Fäulnis.
Später zog er sich ohne Eile an und stieg in den ersten Stock hinunter.
Von der Hektik war nichts mehr zu hören, aber aus dem Erdgeschoß drang undeutlich eine leise Unterhaltung nach oben. Viktor ging zum ehemaligen Kinderzimmer und einstigen Büro der PR -Berater und warf einen Blick hinein. Zu seiner Verwunderung war vom Computer keine Spur mehr. Er durchquerte das Büro und trat ans Fenster, das zum Glück ebenfalls auf den Hof hinausging.
Das Tor zur Straße war offen, dahinter standen drei schwarze kastenförmige Mercedes-Geländewagen und [155] zwei gewöhnliche Daimler. Im Hof stand ein silberner Chrysler mit dem Nummernschild einer staatlichen Behörde. In diesem Moment verließen zwei der Geländewagen und die beiden Daimler das vom Fensterrahmen begrenzte Bild.
Irgendwas war los im Haus. Viktor wartete, daß jetzt auch die zwei anderen fremden Wagen fortfuhren und er dann in die Küche hinuntergehen und frühstücken konnte. Aber unten setzte sich das ruhige und offenbar ausgiebige Gespräch immer noch fort. Viktor, bei dem sich schon der Hunger meldete, stand unbeweglich da und wartete geduldig darauf, daß es unten still wurde. Er mußte lange warten. Aber endlich fuhren die Wagen weg, und im Hof wurde Pascha sichtbar, der das Tor schloß. Als Pascha ins Haus kam, las Viktor ernsthafte Beunruhigung auf seinem Gesicht.
Im Salon traf er den Chef. Der war bleich, aber das wohl eher von der Müdigkeit und einer schlaflosen Nacht als vom Grübeln. Er nickte Viktor zu und wies auf einen Sessel gegenüber.
»Es war so eine wunderbare Nacht, und dann das!« bemerkte er versonnen.
»Was ist denn passiert?« fragte Viktor vorsichtig.
»Der Computer… So etwas hast du noch nicht gesehen – ein ganzer Trupp Geheimdienstler stürzt sich auf einen Computer! Nur gut, daß ich nichts damit zu tun hatte. Ich habe das Ding nicht angefaßt. Wir sind schön reingefallen mit diesen Gaunern. Den Idioten, der sie mir empfohlen hat, ersäuf ich in der Kanalisation!… Kannst du dir vorstellen, wie die mit mir geredet haben? Als hätten sie [156] mich schon hinter einer dicken Zellentür! ›Wenn wir nur einen einzigen Fingerabdruck von Ihnen auf den Tasten finden, werden Sie schon sehen!‹ Na, sollen sie ruhig suchen! Nur zu! Dumm nur, daß sie sich jetzt an diese Gauner hängen, und wenn sie die finden, kommen wir auch wieder ins Spiel… Oh, wie kommt das alles unpassend!… Willst du einen Whisky?«
Viktor nickte. Ihm war klar, der Chef brauchte einen verständnisvollen Zuhörer und Mittrinker, um sich auszusprechen und seinen gesammelten Zorn loszuwerden.
»Nimm eine Flasche und Gläser aus der Bar«, bat der Chef.
Viktor stellte einen Black Horse auf das Zeitungstischchen und holte zwei niedrige breite Gläser für den Whisky.
»Eis?« fragte er.
»Geht auch ohne!« seufzte Sergej Pawlowitsch. »Gieß ein!«
»Und weißt du, was das lausigste ist?« fuhr er fort, während er Viktor ansah. »Jetzt soll ich ihnen eine Liste von Personen zusammenstellen, die sich in den letzten zwanzig Tagen in diesem Haus aufgehalten haben! Wie findest du das? Ein Kandidat für die Parlamentswahlen soll sich und alle, die bei ihm waren, denunzieren? Und dann nehmen sie von allen Fingerabdrücke und vergleichen sie mit denen auf der Tastatur?…So eine Scheiße… Nicht zu fassen. Wenn man es noch fünf Tage hinziehen könnte und die Wahl gewinnen – und sie dann in aller Ruhe zum Teufel schicken… Aber das sind keine Idioten, die setzen mich jetzt unter Druck. Auch du wirst auf der Liste auftauchen, [157] und noch ein paar für sie interessante Figuren… Und wie
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