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Pinguine frieren nicht

Pinguine frieren nicht

Titel: Pinguine frieren nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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Stuhllehne fallen.
    In der Sauna war es zuerst angenehm heiß. Viktor und der Chef setzten sich auf die obere Bank. Der Chef griff gleich zu der hölzernen Kelle, tauchte sie in das kleine Henkelfäßchen und goß Wasser über die Steine auf dem mächtigen elektrischen Ofen. Sofort füllte die Kammer sich mit sengendem Dampf, und Sergej Pawlowitsch stöhnte wohlig, das Gesicht zur Decke gewandt.
    Der heiße Dampf verbrannte Viktor die Kehle und biß ihn in der Nase. Er setzte sich eins tiefer auf die mittlere Bank.
    »Was ist? Du bist nicht feuerfest?« fragte der Chef lachend.
    »Ich muß mich erst dran gewöhnen…«
    »Ja, nur zu, gewöhn dich ruhig. An die Kälte hast du dich aber doch leicht gewöhnt?«
    Viktor seufzte. Er dachte an die Antarktis ohne Mischa-Pinguin.
    »Übrigens, wie steht es daheim, hältst du dein Haus jetzt in Ordnung? Und läßt keine neuen Fremden mehr rein?«
    Viktor schüttelte den Kopf. Neue Fremde? Seine alte ›Familie‹? Sein ›Haus‹? Alle diese Gedanken ließen ihn nur ratlos seufzen.
    »Ich an deiner Stelle würde jetzt U-Boot spielen«, fuhr Sergej Pawlowitsch nach einer Pause fort und goß noch eine Kelle voll Wasser auf die Steine.
    Der Dampf wanderte vor Viktors Gesicht nach oben an die hölzerne Decke.
    [164] »Untertauchen?« fragte Viktor langsam. Seine Langsamkeit kam jetzt von der Banja-Hitze, in der ihm Muskeln und Gehirn schmolzen.
    »Es ist deine Sache… Wenn du willst, nehme ich dich als Helfer, oder wie es dann heißt: Abgeordnetenberater-Mitarbeiter. Ein kleiner, anfechtbarer Posten. Aber doch ein Schutz, wenn auch ein schwacher. Besser wäre es allerdings, du würdest jetzt nach Moskau fahren… Dort will keiner was von dir.«
    »Die Sache mit dem Computer hat man also nicht fallengelassen?« fragte Viktor erstaunt. Er hatte gedacht, die Verwandlung seines Chefs vom künftigen Abgeordneten zum Berater eines künftigen Abgeordneten hinge irgendwie mit dem Computer zusammen, und vielleicht noch mit irgendwas anderem.
    »Fallengelassen? Nicht doch. Man hat die Information bloß fürs erste unterdrückt. Wer sie losläßt und wann – keine Ahnung. Vielleicht ist sie auch bis dahin nichts mehr wert. Vielleicht… Komm, wir trinken noch ein Bier!«
    Mit zunehmender Abkühlung begann Viktor wieder schneller zu denken, und das Tempo seiner Gedanken geriet in Gegensatz zu dem immer noch verlangsamten Zustand seines Körpers. Sie redeten jetzt von etwas anderem. Der Chef erzählte von seiner Tochter, die er mit ihrem vierjährigen Sohn – dem Auslöser für Viktors gar nicht so harte Gefangenschaft – bis nach den Wahlen nach Zypern geschickt hatte. Er erzählte ihm auch von seiner nächtlichen Hochstimmung, die ihm die Geheimdienstler und Kapitonow mit ihrem Erscheinen verdorben hatten. Was ihn so beglückt hatte, war ein Verkehrsunfall auf der [165] Parkallee gewesen – ein Kleinlaster war frontal in einen von einem Soldaten gesteuerten Wolga gerast. Der chauffierende Soldat war mit dem Leben davongekommen, aber seine beiden Passagiere hatten weniger Glück gehabt. Einer von ihnen war der Hobbyjäger, der Sergej Pawlowitschs Tochter zur Witwe gemacht hatte.
    »Ein Unfall?« fragte Viktor ohne Hintergedanken.
    »Wie es nur einen geben kann!« nickte der Chef strahlend.
    Nach zwei weiteren Flaschen Bier begaben sie sich hinauf in den Salon und ließen sich in zwei Sesseln nieder, Sergej Pawlowitsch in seinem Tigerfellbademantel, Viktor in ein weiches Badetuch gehüllt und seine Kleider in der Hand.
    Pascha kam und fragte, ob sie einen Kaffee wollten. Sie wollten. Vor dem Fenster war es dunkel. Es regnete.
    Im Vorzimmer klingelte das Telefon, und kurz darauf berichtete Pascha, daß Freunde soeben gewarnt hatten, morgen früh würden von allen im Haus Fingerabdrücke genommen.
    Sergej Pawlowitsch warf Viktor einen vielsagenden Blick zu. ›Ja, Intuition hat er‹, dachte Viktor.
    Sie schütteten den Kaffee hinunter, und Viktor zog sich an.
    Sergej Pawlowitsch brachte ihm seine beiden Pässe und einen ziemlich prall gefüllten Umschlag.
    »Geh deine Sachen packen, Pascha bringt dich dann, wohin du willst… Und nimm noch das hier!«
    Er drückte Viktor sein Visitenkärtchen in die Hand, verziert mit dem ukrainischen Dreizack und dem Emblem [166] des ukrainischen Parlaments. Staunend las Viktor da, was auch in Sergej Pawlowitschs neuem Ausweis stand: Abgeordnetenberater.
    »Wenn du in Moskau Hilfe brauchst, geh ins Restaurant ›Peking‹ und frag nach Bim. Bestelle ihm

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