Pinguine frieren nicht
großartig hat doch dieser Tag begonnen… Was für eine Nacht war das…«
Die Unruhe des Chefs griff plötzlich auf Viktor über und wurde sofort zu seiner eigenen. Er hatte ja seine Fingerabdrücke hinterlassen, auf der Maus und auf der Tastatur. Viktor wurde blaß.
»Was ist los?« fragte Sergej Pawlowitsch, als er die Veränderung im Gesicht seines Assistenten bemerkte.
»Ich habe den Computer zufällig angefaßt«, gestand Viktor.
»Ja?« wunderte sich der Chef. »Los, erzähl!«
Und Viktor erzählte alles. Von dem Computerspezialisten und von der Datei auf dem Bildschirm.
»Du bist mir ja ein Pinguin«, seufzte Sergej Pawlowitsch. »Wieso bist du da drangegangen?… Aber du hattest ja auch keinen blassen Schimmer. Wie ich… Gut.« Der Chef trank noch einen Schluck Whisky. »Versuchen wir, unsere Leute einzuschalten, vielleicht lassen sie das Ganze fallen…«
27
Es blieben noch vier Tage bis zur Wahl.
Obwohl Sergej Pawlowitsch den ganzen Tag mit Pascha kreuz und quer in der Stadt unterwegs war und versuchte, die Sache auszubügeln, schienen seine Bemühungen nicht von Erfolg gekrönt. Im Haus taten inzwischen zwei schweigsame Kollegen von Pascha Dienst, die sich in erhöhter Kampfbereitschaft befanden. Sie wanderten [158] entweder rings ums Haus oder spähten auf die Straße hinaus. Mit einem Wort, Viktor bemerkte ihre Verfassung gleich und versuchte erst gar nicht, mit ihnen zu reden. Er streifte tatenlos durchs Haus, stieg hoch zu seinem Dachzimmer, stieg wieder hinunter in die Küche, kochte sich Kaffee und sah aus dem Fenster, wo er regelmäßig dem Blick der Wächter begegnete, die seine Anwesenheit ignorierten. Von Zeit zu Zeit rief einer der beiden Pascha auf dem Handy an, um zu berichten, daß alles ruhig war und es keine Veränderungen gab.
Die Veränderungen traten gegen vier Uhr nachmittags ein, als der schon bekannte silberne Chrysler vor dem verschlossenen Tor hupte. Hinter dem Chrysler fuhr ein schwarzer Mercedes-Geländewagen in den Hof, auch einer, den er schon am Vortag gesehen hatte. Den Wagen entstiegen sieben Männer, und sie in der Hierarchie einzuordnen war einfach und amüsant. Viktor beobachtete die ganze Gesellschaft aus dem Küchenfenster. Vier Bodyguards mit direkt ans Ohr geklemmten Funkvorrichtungen, zwei sauber und langweilig gekleidete Fahrer und ein Vorgesetzter, genauer, der Chef der Truppe, im langen schwarzen Mantel, mit einem etwas kindlichen, glatten Gesicht und akkuratem Haarschnitt. Er schien etwa vierzig zu sein, nur seine Schuhe mit Quadratschnitt verrieten ihn als Anhänger der zeitgenössischen Mode. Einer von Sergej Pawlowitschs Wächtern stand jetzt bei ihm und hörte ihn aufmerksam an. Der zweite kam ins Haus, wo er im Flur stehenblieb.
»Pascha«, war seine Stimme zu hören. »Sag dem Chef, Kapitonow ist da und verlangt ihn dringend… Was sollen wir ihm sagen?… Okay.«
[159] Der Mann ging wieder in den Hof hinaus und direkt zu dem genannten Kapitonow, um ihm vom Ergebnis seines Telefonats zu berichten. Kapitonow nickte.
Zwanzig Minuten später traf der Chef ein und zog sich mit Kapitonow in dessen Chrysler zurück. Kapitonows mächtige Wachleute umstanden zu viert den Chrysler so, daß es unmöglich war, auch nur in seine Nähe zu gelangen. Pascha kam in die Küche und warf Viktor einen ziemlich teilnahmslosen Blick zu.
»Was ist los?« fragte Viktor.
»Nichts Gutes«, antwortete Pascha. »Sie setzen ihn weiter unter Druck, also wird ernsthaft verhandelt. Bei so einem Handel verkauft man auch eigene Leute…«
Viktor nickte gedankenvoll.
Das Bild im Fenster blieb unverändert. Vier hochgewachsene, elegante Bodyguards in identischen Mänteln und identischen Funkknöpfen im Ohr umstanden im Karree den Chrysler mit den verdunkelten Scheiben. Sie standen so zwei Stunden lang, und Viktor, ganz benommen vom Rätseln und Nichtstun, kam auf einmal der Gedanke, daß man ihn bereits verkauft hatte. Und er begriff, daß er aus diesem Haus nicht mehr wegkam. Nervös hastete er die Treppe hoch, immer zwei Stufen auf einmal, schloß sich in seinem Dachzimmerchen ein und setzte sich aufs Bett.
Vor dem Fenster färbte schon die Abenddämmerung den Himmel. Viktor öffnete das Fenster und lauschte. In fünfhundert Meter Entfernung summte der unsichtbare Verkehr auf dem 40-Jahre-Oktober-Prospekt. Irgendwo in der Nähe saßen krächzende Krähen. Nur menschliche [160] Stimmen fehlten unter den Klängen dieses Abends. Da drangen vom Hof plötzlich
Weitere Kostenlose Bücher