Pinguine frieren nicht
essen, und dann, so Gott will, geht es los…«
Über Moskau hatten sich wieder Wolken angesammelt und verteilten ihren silbrigen Nieselregen über die Ringlinie, die Twerskaja-Straße, das Hotel ›Minsk‹ und den [218] Puschkinplatz. Aber Viktor schlenderte froh und beflügelt über die Twerskaja Richtung Roter Platz und beachtete den Regen gar nicht. Er versuchte, auch das Unbehagen im linken Schuh zu ignorieren, in den jetzt Wasser durch die dünne Sohle eindrang. Als der Regen heftiger wurde, kehrte Viktor in der ›Volksbar‹ ein, trank einen Kognak und vergaß alle Unbill. Der Name der Bar erheiterte ihn – sie war so schick und sauber, wo war denn das Volk geblieben?
Als der Regen ein wenig nachließ, ging Viktor wieder auf die Straße. Unterwegs betrat er einen teuren Laden, einfach so. Er tastete nach Bronikowskis Kreditkarte in der Jackentasche und hielt sie fest in der Hand, während er sich die einige tausend Dollar teuren Ziermesser und silbernen Weinpokale ansah. Es war ein angenehmes Gefühl. Zu wissen, daß er das alles kaufen könnte, es aber nicht tat, erfüllte ihn mit einer seltsamen, jedoch echten Befriedigung. Er ging auch noch in ein Schuhgeschäft, aber die Preise, die wie Telefonnummern aussahen, empörten ihn, und er fand, daß das Unbehagen im linken Schuh nicht so teuer sein konnte.
35
Gegen Abend schien über Moskau wieder die Sonne. Von dem stundenlangen Bummel durch die Metropole taten Viktor die Beine weh. Aber die Müdigkeit bremste seinen Rhythmus kaum, sein Gang blieb beschwingt, und mit diesem beschwingten Gang traf er wieder am [219] Majakowskiplatz ein und freute sich am Anblick des Hotelturms und Namensvetters des Restaurants ›Peking‹.
Bim empfing Viktor im Foyer, er stand neben einer echten Palme und rauchte eine dünne Zigarre. Bei Viktors Anblick drückte er sie mit einer eiligen Bewegung am Stamm der Palme aus und ließ sie in einem zigarettenschachtelgroßen hölzernen Etui verschwinden.
»Gehen wir!« kommandierte er ziemlich kurz angebunden und betrat den Saal.
In der hintersten Ecke des Saales setzten sie sich an einen Tisch mit den Schildchen RESERVED und NO SMOKING . Viktor hängte wieder seine Windjacke über die Stuhllehne.
Bim warf einen kritischen Blick auf Viktors Jacke.
»Geh lieber und gib sie an der Garderobe ab«, bat er. »Wir erwarten noch jemand.«
Viktor befolgte Bims Rat.
»Gleich kommt das Essen. Was trinkst du?«
»Vielleicht Kognak«, antwortete Viktor.
Bim winkte einem älteren Kellner, gab ihm die Anweisungen, nahm die nicht zu Ende gerauchte Zigarre wieder aus der Schachtel und zündete sie an.
»Auf wen warten wir denn? Den Bankier?«
»Geduld«, antwortete Bim. »Pawlowitsch läßt dich übrigens grüßen. Er hat gebeten, daß du dich bei ihm meldest, wenn du wieder in Kiew bist.«
Viktor nickte. Die Veränderungen in Bims Stimmung und Tonfall waren überdeutlich, und jetzt, wo Bim ihm den Gruß seines ehemaligen Chefs überbrachte, schienen sie ihm auch erklärlich. Aber was konnte Sergej Pawlowitsch ihm gesagt haben?
[220] »Wie geht es ihm?« fragte Viktor, den Blick auf Bims Finger und die Zigarre gerichtet.
»Ganz gut.« Bim blies eine dicke Wolke dunklen Zigarrenrauchs in die Höhe. »Er ist wieder frei.«
Viktor erschrak. »Ist ihm denn etwas passiert? Haben sie ihn verhaftet?«
Bim lachte und musterte Viktor mitleidig.
»Wieso sollen sie ihn verhaften? Nein, bloß am zweiten Tag nach der Wahl ist seinem Abgeordneten ein unschönes Malheur passiert… kurz, es hat ihn bei einer Prostituierten dahingerafft. Also ist Pawlowitsch jetzt nicht mehr Abgeordnetenberater, er hat nämlich keinen Abgeordneten mehr.«
Viktor sah Bim verständnislos an und fühlte sich außerstande, Sergej Pawlowitschs neue Lage einzuschätzen und zu begreifen, ob das nun gut oder schlecht war.
Bim lachte wieder. In dem Augenblick reichte man Viktor den Kognak und Bim einen Aniswodka.
Sie hatten ohne Trinkspruch jeder ein Gläschen geleert, als sich ein hagerer älterer Mann mit unnatürlich dunkel gebräuntem Gesicht still zu ihnen an den Tisch setzte. Er war teuer und geschmackvoll gekleidet. Man sah, daß er versuchte, um zwanzig Jahre jünger auszusehen, also mochte er in Wirklichkeit auch schon an die Siebzig sein.
Der Braungebrannte rückte die blaue Fliege auf dem weißen Hemd zurecht, öffnete die Lederknöpfe seines dunkelblauen Zweireihers, schlug ein Bein über das andere und lehnte sich zurück. Mit einem Blick begrüßte er
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