Pinguine frieren nicht
Papier, das er zusammengeknüllt in der linken Hand hielt.
»Was hast du da für einen Zettel?«
Viktor hob die linke Hand hoch, aber er konnte die Faust nicht öffnen. Sie gehorchte ihm nicht. Gelassen bog Marina seine Finger auseinander und zog das Papier heraus. Sie faltete es auseinander und lachte.
Das Lachen kam Viktor erniedrigend vor.
»Was ist da?« fragte er.
»Die Rechnung vom Abendessen… Jemand hat geglaubt, mein Stas sei wieder da, und hat Alarm geschlagen…«
[209] Sie hielt Viktor die Rechnung, die er in Bronikowskis Namen unterschrieben hatte, vor die Nase.
»Siehst du, wie gefährlich es ist, die Unterschriften Verstorbener zu fälschen«, bemerkte sie.
In ihren Worten lag nicht die geringste Wärme für ihren toten Mann. Allerdings, wenn sie von Ksjuscha wußte, war in ihrem Eheleben wohl auch nicht alles ungetrübt gewesen.
Sein nächtlicher Besuch bei der jungen Geliebten des Bankiers fiel Viktor jetzt wieder in allen Einzelheiten ein, und er seufzte schwer. Auf einmal erfüllte ihn grenzenloses Mitgefühl für diese junge Frau, die so aufrichtig um Bronikowski geweint hatte.
Es war, als ob Marina Viktors Gedanken spürte.
»Wie war es bei Ksjuscha?« fragte sie.
»Sie hat geweint.«
»Das ist klar«, nickte sie. »Lange?«
»Nicht besonders.«
»Hat sie das Geld genommen?«
»Ungern… Sie hat verstanden, daß es nicht von Stas kam. Sie hat gesagt, er hätte ihr das nicht geschickt.«
»Die Närrin! Willst du vielleicht was trinken?«
Viktor überlegte. Alkohol konnte seinen Körper ja vielleicht zu neuem Leben erwecken, nur: Was sollte man unter ›neu‹ verstehen?
»Kognak«, bat er.
Marina brachte zwei Gläser Kognak.
Viktor drehte sich auf die Seite, dann stemmte er sich hoch und setzte sich ziemlich mühsam auf. Er trank und sah Marina aufmerksam an.
[210] »Und du hast von ihr gewußt«, sagte er.
»Natürlich.« Marina zuckte die Achseln. »Er hat sogar seinen Fahrer mit Lebensmitteln zu ihr geschickt. Und auch noch dorthin! Hinter die Ringlinie! Stell dir das dreckige Hochhaus vor, und ein 600er Mercedes rollt bei ihr vor! Vor aller Augen! Wenn er sie irgendwo auf der Twerskaja untergebracht hätte, in der Nähe seiner Bank, dann wäre er in den Pausen zu ihr gelaufen, und niemand hätte etwas gemerkt! Es war einfach peinlich…«
»Er hat ihr eine Wohnung auf dem Arbat geschenkt«, bemerkte Viktor. »Aber sie hat sie nicht angenommen… Das ist wohl Liebe«, lächelte er schwach.
»Du meinst, er hat sie geliebt? Ach was, er hat seine Seele bei ihr ausgeruht… So eine naive, aufrichtige Provinzmaus, der Traum jedes müden Bankiers. Keine Ansprüche, keine Fragen. Nur endlose Dankbarkeit dafür, daß man sie beachtet hat… Genug, was reden wir dauernd von ihm!«
Marina zog die Viktor nur allzu gut bekannte Kreditkarte aus der Tasche ihres bordeauxroten Morgenmantels und reichte sie ihm.
»Nimm, unterschreiben kannst du ja schon«, sagte sie. »Ich brauche sein Geld nicht. Nicht das Geld und nicht die verspätete Entschuldigung. Ich habe mein eigenes…«
Viktor nahm die Kreditkarte und merkte auf einmal, daß er ganz nackt im Bett lag. Entgeistert fragte er: »Und wer hat mich ausgezogen?«
»Olja und ich. Wir konnten dich ja nicht in den Kleidern in das saubere Bett legen. Und auch noch so schmutzig. Du mußt irgendwo im Dreck gelegen haben. Olja hat alles [211] gewaschen und getrocknet. Wenn du wieder munter bist, fährst du dann heim nach Kiew?«
»Nein, erst muß ich hier in Moskau einen Pinguin finden. Jetzt reicht vielleicht auch das Geld, um ihn loszukaufen.« Er sah auf die Kreditkarte.
»Wenn es nicht reicht, ruf an! Aber das ist doch noch kein Abschied!«
Marina verließ das Zimmer und kam mit einer Flasche Kognak zurück. Sie schenkte sich und Viktor ein. Inzwischen war im Zimmer nebenan das Licht ausgegangen, und es war erstaunlich dunkel.
»Wieviel Uhr ist es?« fragte er plötzlich.
»Halb elf.«
Am nächsten Morgen wachte Viktor davon auf, daß ihm heiß war. Und davon, daß er gestreichelt wurde. Sein Körper gehorchte ihm wieder völlig. Er schlug die Augen auf und sah Marinas Gesicht auf dem Kopfkissen neben sich, die Augen geschlossen, während ihre Hand weiter seine Schulter streichelte und sich dann abwärts bewegte. Sie machte eine Pause auf seiner Hüfte, wanderte weiter nach unten und berührte spielerisch mit den Fingern sein müdes Glied. Viktor fühlte deutlich eine völlige Erschöpfung in der Leistengegend. Er versuchte,
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