Pinguine frieren nicht
›Peking‹.
Das riesige Restaurant war nahezu voll, und den [215] größten Teil der Gäste bildeten sogenannte Personen kaukasischer Nationalitäten.
Viktor hängte seine Jacke über die Stuhllehne, setzte sich an einen kleinen Tisch und hielt Ausschau nach einem Kellner. Er erwartete, daß es bei dieser Menge an Gästen eine Weile dauern würde. Aber er irrte sich.
Ein asiatisch aussehender Mann brachte ihm die Speisekarte und fügte gleich hinzu, es wäre einfacher und schneller, einen Business-Lunch zu bestellen, und obendrein billiger als à la carte.
Viktor stimmte bereitwillig zu und fragte nicht mal, woraus dieser Business-Lunch eigentlich bestand. Einfach aus Hast, und dann auch im Vertrauen auf Moskau. Moskau weiß, was das beste ist, Moskau erteilt keinen schlechten Rat. Hätte dieser Mann Viktors Gedanken lesen können, wäre er sicher zu Recht stolz gewesen, hier Moskau zu verkörpern.
Die Suppe im Schälchen schmeckte süß-säuerlich. Mit ihr war Viktor rasch fertig, die unzerkauten Bambussprossen spuckte er wieder zurück in das Schälchen. Dann aß er Reis mit Schweinefleisch auf Sechuanart. Er trank einen Schluck grünen Tee und fühlte, daß er seinen Hunger schon gestillt hatte. Die Gedanken bewegten sich jetzt in langsamerem und tieferem Fahrwasser, und Bim fiel ihm ein. Er rief den Kellner, bat ihn etwas näher zu sich, damit die Gesellschaft am Nachbartisch ihn nicht hören konnte, und fragte leise: »Wo kann ich Bim finden?«
Der Kellner nahm die Frage völlig ungerührt entgegen.
»Er kommt gleich«, sagte er, »wünschen Sie noch etwas?«
[216] Viktor wünschte weiter nichts.
Er nahm wieder einen Schluck grünen Tee und musterte unauffällig seine Nachbarn. Sie waren zu viert und aßen ebenfalls den chinesischen Business-Lunch, begossen ihn allerdings mit Wodka. Die Zahl der goldenen Siegelringe an ihren Fingern und auch die Dicke dieser Finger ließ Viktor sie aus irgendeinem Grund mit Mitgefühl als künftige Verstorbene betrachten.
»Sie haben nach mir gefragt?« Ein angenehm wirkender Mann in einem unauffälligen grauen Anzug setzte sich auf den Stuhl neben ihm.
Viktor sah ihn an und nickte.
»Sergej Pawlowitsch aus Kiew sagte mir, ich kann mich an Sie wenden, wenn ich Hilfe brauche…«
»Pawlowitsch?« Bim lächelte. »Wie geht es ihm?«
»Mal so, mal so… Erst ganz gut, er wäre fast Abgeordneter geworden… Aber jetzt ist er nur Abgeordnetenberater…«
»Macht nichts… Das zählt auch.« Bim seufzte. »Also, was hast du für Probleme?«
Viktor musterte Bim jetzt aufmerksamer, der nicht einmal seinen richtigen Namen genannt hatte, als wäre ihm dieser Spitzname ganz recht. Das Äußere kann trügen, aber doch nicht so! Vor Viktor saß ein vollkommen unauffälliger, magerer Mann, der ideale zufällige Passant, wie es Millionen gibt. Man glaubte nicht an seine besonderen Möglichkeiten und Beziehungen. Aber das konnte für einen solchen Mann nur von Vorteil sein. Viktor kaute gedankenverloren auf seinen trockenen Lippen. Es war albern, aber die Frage nach seinen Problemen lenkte seine [217] Aufmerksamkeit nach unten in seinen linken Schuh, zu dem Unbehagen, dem leicht abzuhelfen gewesen wäre, das aber trotzdem seine Aufmerksamkeit beanspruchte. Er trank den grünen Tee aus und suchte instinktiv nach dem Kellner – das eine Glas hatte seinen Durst noch nicht gestillt. Der Mann war ganz in der Nähe, als wäre er nie fort gewesen. Er fing Viktors Blick auf, verstand ohne Worte und entfernte sich.
»Ich höre«, brachte Bim sich in Erinnerung.
»Verzeihen Sie, damit Sie mich verstehen können, muß ich Ihnen erst etwas erzählen.«
Bim nickte. Viktor erzählte ihm von Mischa, von den Begräbnissen mit Pinguin, dem unfreiwilligen Abflug in die Antarktis. Von den ›Kreuzchen‹ und der Zeitung sagte Viktor nichts, aber das lag ja auch alles hinter ihm, war Schnee von gestern. Warum noch daran denken!
»Sphinx, sagst du?« Bim dachte nach. »Die Kommertscheskij Gasowyj-Bank gibt es nicht mehr… Aber du mußt verstehen, dieser Sphinx hat deinen Pinguin ganz rechtmäßig erhalten. Man kann ihn nicht einfach zurückholen. Du kannst ihn abkaufen, tauschen gegen ein schönes Mädchen vielleicht, ja, aber das muß mit ihm persönlich geklärt werden… Gut, ich will versuchen, etwas in Gang zu bringen, mit ihm oder, wenn er allzu stolz ist, mit seinen Leuten… Heute abend« – Bim warf einen Blick auf seine Rolex – »so Gott will, klappt es! Komm gegen acht, wir
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