Pinguine frieren nicht

Titel: Pinguine frieren nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow

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willst?«
    Viktor lächelte traurig.
    »Und zurück kann man auch wieder mit euch?« fragte er, ohne auf Rezvans Frage zu antworten.
    »Da gibt es Auswahl. Aber mit uns ist es billiger. Für unter dreihundert Grüne setzen die Föderalen keinen in einen Hubschrauber.«
    In der Tasche von Rezvans Lederjacke dudelte die schon bekannte elektronische Melodie. Er zog das Handy heraus und ging wortlos ein paar Schritte weg.
    Viktor ging zum Bus zurück und setzte sich wieder auf seinen Platz. Er zog den plüschigen Vorhang zu sich, drückte ihn mit dem Kopf an die Scheibe und schlief ein.
    37
    Die Fahrt ging bei Einbruch der Dunkelheit weiter. Im Businneren brannte kein Licht, und Viktors Augen ermüdeten schnell. Er versuchte, die entgegenkommenden Autos an ihren Scheinwerfern zu zählen, aber das ermüdete noch mehr. Da er sich am Tag ausgeschlafen hatte, fühlte Viktor jetzt eine nervöse, sinnlose Munterkeit. Dazu kam der Hunger. Rezvans Partner, auch ein Tschetschene, war mit der Thermoskanne herumgegangen und hatte allen Passagieren Tee mit Schlafmittel angeboten. Viktor hatte abgelehnt, und jetzt bedauerte er es. Künstlicher Schlaf war trotz allem besser als diese unnatürliche Wachheit.
    [234] Matwej Wassiliewitsch schlief, den Kopf an das Busfenster gedrückt. Am besten hatte es natürlich der sorgfältig gekleidete, hochgewachsene Mann in der Alaskajacke getroffen, der sich auf der langen letzten Bank ausgestreckt hatte und schnarchte. Die übrigen Passagiere, unscheinbar, ohne besondere Merkmale, schlummerten halb im Sitzen, halb im Liegen.
    Irgendwann döste Viktor endlich ein. Dieser Zustand war nicht ideal, aber er war doch irgendwie schlafähnlich. Nur über die Tonspur hatte Viktor das Geschehen im Bus quasi noch unter Kontrolle. Der Motor rumpelte, der Passagier hinter ihm schnarchte, von Zeit zu Zeit unterhielten sich die beiden Tschetschenen, manchmal wechselten sie kurze Sätze mit dem Fahrer.
    Bald schaltete sich auch die Tonspur ab.
    Der Bus fuhr noch zwanzig Kilometer auf dem unbeleuchteten Weg weiter, fuhr rechts ran, hielt und schaltete das Warnblinklicht ein.
    Nach zehn Minuten kam ein schwarzer Wolga. Der Busfahrer öffnete die vordere Tür, und zwei große Kerle in Tarnanzügen schleppten einige weiche, pralle Leinensäcke ins Businnere. Danach stiegen sie noch mal aus und kehrten mit zwei Kalaschnikows wieder. Der Wolga fuhr davon.
    Der Fahrer schaltete das Licht im Wageninnern ein, und die Tschetschenen gingen daran, die Passagiere zu wecken, indem sie sie an der Schulter rüttelten. Viktor erwachte mühelos, aber mit dröhnendem Kopf.
    Rezvan zog aus einem verschnürten Leinensack einen [235] kompletten Tarnanzug und warf ihn Viktor auf die Knie. »Zieh dich um!«
    In der Zwischenzeit hatte der Fahrer die Routenanzeige weggenommen und an ihre Stelle ein Schild mit drei großen roten Buchstaben gestellt: MKS .
    Die gleichen Buchstaben erblickte Viktor auf seiner eigenen Brust, als er die gefütterten Tarnhosen und die dazugehörende Jacke angezogen hatte. Er sah sich um und stellte fest, daß plötzlich einige Passagiere, die sich vorher mehr durch ihre Kleider als durchs Gesicht unterschieden, auch diesen Unterschied eingebüßt hatten. Nur Matwej Wassiliewitsch war sogar in der Uniform des ›Ministeriums für Katastrophenschutz‹ er selbst geblieben. Sein Gesicht war so ausdrucksvoll, wie es zerknittert und von tiefen Falten durchzogen war.
    Bald war die durch das Umziehen ausgelöste Geschäftigkeit beendet, und der Bus fuhr weiter. Das Licht im Inneren war wieder erloschen. Die zwei neuen Mitreisenden mit den Maschinenpistolen hatten hinten auf den vorletzten Sitzen Platz genommen und einen der Passagiere von dort nach weiter vorn geschickt.
    Vor ihnen tauchten die Lichter einer Siedlung auf. Die Straße war menschenleer.
    38
    Durch den leichten Schlaf drangen hin und wieder entfernte Gespräche wie von jenseits einer Wand in Viktors Bewußtsein. Erst auf russisch, irgendwann später in [236] unverständlichem Tschetschenisch. Kurz bevor er aufwachte, verstummten diese fernen Gespräche. Viktor träumte gerade, er wäre auf einem Segelboot weit draußen auf dem Meer oder einem Ozean, und eine sanfte Brise wiegte das Boot, ohne die Segel zu straffen. Auf einmal wurde der Wind im Traum stärker, und das Boot schaukelte heftig los. Im gleichen Moment schleuderte ein abrupter Ruck Viktor an die Lehne des Vordersitzes. Er schlug die Augen auf, rappelte sich hoch und setzte sich aufrecht hin.