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Pinguine frieren nicht

Pinguine frieren nicht

Titel: Pinguine frieren nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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Als er sich umblickte, sah er, daß die beiden Männer mit den Kalaschnikows fehlten. Und Rezvan, der Tschetschene, saß jetzt allein auf dem rechten Vordersitz und redete mit dem Fahrer. Da wurde Viktor bewußt, daß Rezvan mit dem Fahrer tschetschenisch sprach, und er sah den Fahrer genauer an. Der Bus wurde jetzt von dem zweiten Tschetschenen gesteuert. Der russische Fahrer fehlte.
    Der schmale, unbefestigte Waldweg war eindeutig nicht für Busse gemacht. Aber zu Viktors Erstaunen kletterte der Pasik unverdrossen bergauf, auch wenn der Motor hin und wieder wie aus letzten Kräften röhrte. Vor dem Fenster war es hell, irgendwo über dieser dichtbewaldeten Schlucht schien die Sonne, deren Strahlen nur vereinzelt hinunterreichten. Und je seltener diese Sonnenblitze die Erde hier unten trafen, desto heller erschienen sie Viktor.
    Für kurze Zeit wurde der Weg eben, und der Tschetschene hielt den Bus an, seufzte erleichtert und schaute auf die Uhr.
    Rezvan sprach jetzt in ein Walkie-talkie. Er wartete, vernahm hinter viel Rauschen eine Antwort und nickte dem neuen Fahrer zu.
    [237] Dann sah er sich nach den Passagieren um.
    »Ihr habt die Wahl«, sagte er. »Entweder noch Schlafmittel, oder wir verbinden euch einfach die Augen. Das ist zu eurem Besten: Wenn ihr an den Geheimdienst geratet, braucht ihr euch dann nicht den Kopf darüber zerbrechen, an welchem Strauch oder Stecken ihr vorbeigekommen seid.«
    Die Passagiere meldeten sich alle durcheinander, aber ihr Wunsch war einstimmig: Schlafmittel wollte niemand mehr.
    Rezvan lachte.
    »Das war Spaß. Ihr habt gar keine Wahl, es gibt nämlich gar kein Schlafmittel mehr!« Er fing Viktors Blick auf und zwinkerte ihm zu. »Nehmt eure Taschen zu euch auf den Sitz.«
    Der Fahrer verteilte schwarze Streifen aus dichtem Stoff an die Passagiere und wies sie an, sich gegenseitig die Augen zu verbinden. Aber keine Dummheiten!
    Viktor verband Matwej Wassiliewitsch die Augen, dann auch noch ohne fremde Hilfe sich selbst und rutschte wieder an den Fensterplatz.
    Der Bus setzte sich in Bewegung.
    39
    Hinter ihnen lagen schon fünf oder sechs ›Haltestellen‹, und vor jeder warnte Rezvan die Männer davor, die Augenbinden abzunehmen. Dann nannte er irgendwen beim Nachnamen und forderte ihn auf, mit seinem Gepäck auszusteigen.
    [238] Viktor lauschte aufmerksam auf alles, was er nicht sehen konnte. Er hörte, wie draußen wieder tschetschenisch gesprochen wurde, und einmal auch wilde Rufe und das Aufheulen eines Motors. Es mochte ein Lastwagen oder ein Panzerwagen sein, zumindest dröhnten normale Autos nicht so.
    Die aufgerufenen Namen waren alle bäuerlich einfach – Werschinin, Medwedew, Pischtschenko, Kartaschow, Polenin, Dmitjorkin. Es erklangen noch andere, aber die mußten noch alltäglicher gewesen sein und blieben darum gar nicht erst in seinem Gedächtnis hängen.
    Bis zum nächsten Halt fuhren sie noch drei Stunden weiter bergauf, ins Gebirge. Viktor versuchte zu zählen, wie viele Passagiere schon zum Aussteigen gerufen worden waren, um zu wissen, wie viele sie jetzt noch waren. Seiner Zählung nach mußten sich außer ihm selbst noch drei oder vier Männer in dem Bus befinden. Er bedauerte auch, daß er von Matwej Wassiliewitsch nur den Vor- und Vatersnamen wußte. Er hätte ihn nach seinem Nachnamen fragen sollen, es war immerhin der einzige Mensch, mit dem er wenigstens ein wenig geredet hatte, wenn auch nur während jener Rast im Wald. Im Bus saßen alle einzeln, mit abwesenden Gesichtern, als machte jeder diese Reise ganz für sich allein.
    Viktor wurde wieder schläfrig, zog mit der schon gewohnten Armbewegung den plüschigen Vorhang zu sich heran und lehnte den Kopf an den weichen Stoff.
    Der Bus hielt.
    »Wassilischin und du!« erklang Rezvans Stimme.
    Viktor faßte mit der Hand an die schwarze Binde und wollte sie hochschieben, um zu sehen, wen Rezvan meinte.
    [239] »He, was tust du!« erklang wieder Rezvans Stimme. »Los, steh auf, und komm nicht auf die Idee, die Binde abzunehmen!«
    Also forderte man wohl wirklich ihn, Viktor, zum Aussteigen auf. Er tastete nach seiner schwerer gewordenen Sporttasche, in die er seine ganze ›zivile‹ Kleidung gepackt hatte. Tastend bewegte er sich zur vorderen Bustür. Er blieb irgendwo hängen, eine Hand packte ihn und schob ihn in die richtige Richtung, dann stieg er die hohen Stufen hinunter auf die Erde.
    »Zwei Schritte geradeaus!« befahl jemand in unverkennbarem Moskauer Tonfall, und Viktor folgte.
    »Den hat

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