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Pinguine frieren nicht

Pinguine frieren nicht

Titel: Pinguine frieren nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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Eldar reingesetzt«, hörte er Rezvans Stimme und begriff, daß von ihm die Rede war.
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    Über ihnen flog ein Hubschrauber mit ohrenbetäubendem Lärm und gegen die Erde schlagenden Vibrationen. Viktor, der unter einem Baum im Gras saß, hob instinktiv den Kopf. Aber was konnte man durch eine schwarze Binde sehen? Neben ihm saß und atmete dieser Wassilischin, der in den zwei Stunden, die sie hier schon saßen, kein Wort von sich gegeben hatte. Die schwarze Binde rückte alles, was im eigenen Körper vorging, stärker ins Bewußtsein, und sein linker Fuß erinnerte Viktor gleich wieder an den vom Moskauer Pitbull zerbissenen Schuh. Er wackelte mit den Zehen und versuchte erfolglos, eine komfortable Position im Schuh zu finden. Jenseits seiner privaten [240] Finsternis war ein Gespräch in Gang. Mal näher, mal weiter entfernt hörte er die Stimmen zweier oder dreier Männer, von denen einer mit breitem Moskauer Akzent russisch sprach. Aber manchmal wechselte dieselbe Stimme plötzlich ins Tschetschenische, und Viktor, der die Stimme zuerst eindeutig einem Moskauer zugeordnet hatte, war sich jetzt schon nicht mehr sicher.
    Er hatte wohl mehr als eine Stunde mit dem Rücken an den Baumstamm gelehnt geschlafen, als nacheinander drei weitere Hubschrauber über sie hinwegdonnerten. Oder vielleicht war es auch immer derselbe, der Kreise flog. Jedenfalls verstummte jedesmal, wenn das charakteristische Knattern sich näherte, das Gespräch der Männer, in deren Gewalt sie sich jetzt befanden. Dann trat drückende Stille ein.
    Aber das letzte Hubschraubergeräusch wurde immer leiser und verschwand hinter dem unsichtbaren Gebirgshorizont. In der Stille hörte Viktor ein vertrautes Geräusch. Da knisterten Zweige im Feuer.
    »Nehmt die Binden ab!« erklang es vom Feuer her.
    Viktor kniff im voraus die Augen zusammen, um sie gegen das jähe, blendende Licht zu schützen, nahm die Binde ab und erkannte, daß es Nacht war. Er sah sich nach seinem Weggefährten um, und stille Freude erfüllte ihn – neben ihm saß immer noch Matwej Wassiliewitsch. Gleich streckte er ihm die Hand hin und erhielt einen festen Händedruck. Ihm wurde leichter ums Herz. Jetzt konnte er auch die Gestalten am Feuer in Augenschein nehmen.
    Sie waren doch nur zu zweit. Der größere von beiden [241] trug einen feuerroten Igelschnitt, eine Tarnjacke mit einem breiten Ledergürtel und ebensolche Hosen. Der zweite war ein dunkler, kleiner und sehr junger Mann, ganz zweifellos ein Kaukasier. Er rührte in einem Topf auf dem Feuer.
    »Wir essen was, und dann gehen wir!« sagte der Rotschopf zu Viktor und Matwej Wassiliewitsch. »Bei Licht ist hier nicht gut gehen. Dauernd versuchen sie, einen umzubringen. Mal die eigenen, mal die anderen oder irgendwelche aus Hubschraubern gesprungenen Sondereinheitler… Setzt euch her!«
    Viktor und der Alte traten ans Feuer und setzten sich nebeneinander, dem Rotschopf gegenüber.
    Aus dem Topf duftete es nach geschmolzenem Hammelfett. Viktor fuhr sich über die Lippen. Seine Stimmung hob sich im Vorgeschmack dieses Essens, an dem er sich jetzt für die ganze halbhungrig absolvierte Reise schadlos halten wollte.
    Der Rotschopf hieß Petja und stammte aus Sagorsk. Mit seiner Sagorsker Herkunft war er wohl nicht glücklich gewesen und hatte sich darum einen Moskauer Tonfall zugelegt. Sein breites Hauptstädterisch klang in der Stille der tschetschenischen Nacht seltsam und fremdartig. In Viktor weckte es ein Gefühl drohender Gefahr. Als konnte jeden Moment jemand aus der Finsternis auf diesen Moskauer Tonfall schießen, auf diesen Menschen, der sozusagen doppelt russisch redete an einem Ort, wo schon einfaches Russisch genügte, um eine Kugel auf sich zu ziehen.
    Der jüngere hieß Maga und war aus Dagestan, aus [242] Chassawjurt. Hierher kam er, wie er auf russisch mit unmoskauerischem Akzent sagte, zum Geldverdienen.
    »Was kann man hier verdienen?« wunderte sich Viktor.
    »Verschieden«, sagte Maga achselzuckend. »Bei den einen sehr viel, bei anderen weniger…«
    Nach zehn schweigenden Minuten nahmen sie den Topf vom Feuer, stellten ihn auf die Erde und erstickten die Flammen. Mit Blechlöffeln aßen sie die dicke Hammelsuppe direkt aus dem Topf. Dazu kauten sie graues, trockenes Fladenbrot.
    Bevor sie aufbrachen, trat Petja-Rotschopf gründlich die letzte Glut aus und pinkelte noch darauf.
    Ein gewundener Pfad führte sie weiter bergauf, und bald kamen sie an einen kahlen Berghang ohne Baum und Strauch. Die freie

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