Pinguine frieren nicht

Titel: Pinguine frieren nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow

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Fläche war von Himmel und Mond heller beleuchtet, und Viktor merkte, wie Petja und der Dagestaner einen Schritt zulegten. Viktor ging selbst auch schneller, auch wenn im linken Fuß das Unbehagen zunahm. Aber er biß die Zähne zusammen und sah sich besorgt nach Matwej Wassiliewitsch um, der den Schluß ihrer Vierergruppe bildete. Der alte Mann hielt Schritt, jedoch nicht ohne Mühe.
    Die freie Fläche lag bald hinter ihnen. Der Pfad wurde immer schmaler, und jetzt gingen sie langsam und vorsichtig, hielten sich mit der rechten Hand an der senkrechten Felswand und versuchten, nicht links runterzuschauen, wo gleich jenseits der Wegkante der Himmel anfing.
    Viktor drehte sich schnell um und sah nach dem alten Mann; er hatte Angst, Matwej Wassiliewitsch könnte vor Erschöpfung stolpern, und dann würde schon niemand [243] mehr nach ihm suchen. Der Abgrund war einige hundert Meter tief. Vielleicht hatte Viktor weniger Angst um den Alten als davor, allein in dieser fremden Welt zurückzubleiben, die nach fremden, ihm noch unverständlichen Regeln lebte. Hier hatte wohl kaum jemand vom Gesetz der Schnecke gehört, hier hatten sie ihre eigenen Gesetze. Nur dachte niemand daran, Viktor einzuweihen.
    Viktor dachte an Kiew und das Gesetz der Schnecke. Sicher hatte er selbst gegen irgendwelche Paragraphen dieses Gesetzes verstoßen und war darum hier gelandet – mit völlig offenem Ausgang. Nach Moskau hatte ihn Sergej Pawlowitsch geschickt und ihm einen Gruß an Bim mitgegeben. Also, überlegte Viktor, sollte Bim doch wohl ein ›Haus‹, ein zeitweiliges Dach für ihn werden. Bim hatte ihn mit Eldar Iwanytsch bekannt gemacht, und dann hatten sie ihn in einem Zustand, in dem man nicht mehr ans Gepäck denkt, auf die Reise geschickt. Vielleicht verbarg sich ja genau hier der Verstoß gegen den unbekannten Paragraphen. Viktor vertiefte sich in seine Überlegungen. Etwas rührte sich in ihm, ein frischer Schwung kam auf, als kehrte ein Teil seiner Energien zurück. ›Die Schnecke trinkt nur innerhalb ihres Hauses. Eine in betrunkenem Zustand aus ihrem Haus gefallene Schnecke nennt man…‹ – Viktor überlegte, und da sprang das häßliche Wort von selbst hoch und setzte sich ans Satzende – ›…Penner!‹
    Von hier an schritt Viktor leichter aus. Er vergaß die Müdigkeit in beiden Beinen und das extra Unbehagen im linken, das er bis dahin verspürt hatte. Für eine Weile vergaß er auch Matwej Wassiliewitsch.
    [244] Sie kamen in ein zerstörtes Dorf. Der vorausgehende Maga führte sie um die Ruine eines großen Hauses herum, hinter dem sich andere Ruinen versteckten.
    Im Vorbeigehen betrachtete Viktor diese tote Stadt im Mondlicht, aber plötzlich waren die Ruinen zu Ende, und sie standen auf einer kleinen Straße vor einem niedrigen Häuschen, hinter dem, wie es Viktor schien, der lebendige Teil der Siedlung begann. Auf dem Dach des Häuschens hing eine dunkle, einfarbige Fahne, und Viktor versuchte mit zusammengekniffenen Augen zu erkennen, welche Farbe sie hatte.
    »Den Alten bringe ich zu Duda?« fragte Maga den Rotschopf.
    »Ja«, antwortete der. »Dann kommst du zu Arbi!«
    Viktor wurde nervös. Er sah zu Matwej Wassiliewitsch hinüber, und der Alte kam zu ihm.
    »Viel Glück!« sagte der alte Mann und gab ihm die Hand.
    Aus irgendeinem Grund hatte Viktor gedacht, er und Matwej Wassiliewitsch würden jetzt immer zusammen bleiben. Seine Stimmung sank.
    Maga führte den Alten weg.
    »Komm!« kommandierte der Rotschopf Viktor.
    Sie gingen auf der anderen Seite die Straße hinunter, an zwei zerstörten Häusern und einem unversehrten vorbei. Am Ende des Abhangs stand hinter ein paar weiteren zerstörten Gebäuden versteckt ein kleines Haus. Aus dem Schornstein auf dem Dach stieg Rauch in den Himmel.
    Hier blieben sie stehen, der Rotschopf befahl Viktor zu warten und ging hinein.
    [245] Viktor sah zu dem Rauch hoch und spürte immer stärker die Kälte. An den Händen war ihm kalt, im Gesicht und am Kopf. Selbst seinen Gedanken war kalt. Er hauchte und sah, wie der Dampf von seinem Gesicht wegflog.
    Er dachte an die Ansage an Bord des Flugzeugs, in dem er an Mischas Stelle nach Argentinien geflogen war, um dort das Schiff in die Antarktis zu besteigen. »Unsere Flughöhe beträgt neuntausend Meter, die Außentemperatur minus fünfundvierzig. Wer die klimatische Adaptation beginnen will, möge das Fenster öffnen.« Der Pilot hatte gescherzt, und die Polarforscher hatten gelacht. Sie hatten überhaupt viel gelacht auf