Pinguine frieren nicht
Petja hier?« fragte Viktor plötzlich. »Ist er ein Deserteur?«
»Nein, er ist… ein Vermißter. Weißt du, ich versuche etwas über deinen Chatschajew zu erfahren, aber wenn es nicht klappt – ich bin nicht für dich verantwortlich! Ich muß normales Geld verdienen, muß selber alle bezahlen… Vielleicht brauchst du hier noch irgend etwas anderes?« Maga sah Viktor direkt in die Augen.
»Ich brauche Stiefel.« Viktor sah nach unten. »Meine Schuhe sind undicht.«
»Wieso, sind Stiefel etwa in Moskau zu teuer?«
Viktor nickte völlig ernst, als er an das Schuhgeschäft auf der Twerskaja dachte.
[249] 42
Zwei Tage lang saß Viktor in seiner Ecke und ging nur zum Waschen und aufs Klo nach draußen. Der Alte brachte ihm Fladenbrot, Dörrfleisch und Ziegenkäse – bei ihm im Stall lebten zwei Ziegen. Maga hatte Viktor geraten, sich nicht unnötig draußen zu zeigen und nicht vom Haus wegzugehen.
Ein Gespräch mit dem Alten kam nicht einmal mit zehn Fingern zustande. Viktor zeigte sogar auf die Fotografien an der Wand und versuchte dabei, etwas von sich zu erzählen und zu erklären. Es kam nichts dabei heraus, den Alten interessierte einfach nichts. Klar wurde nur eines: Viktor schlief jetzt in der Ecke seines jüngsten Sohnes. Der Sohn war schon vor langem während seines sowjetischen Militärdienstes umgekommen, aber wo und wie, blieb unbekannt.
Nach zwei Tagen erschien Maga mit einem unförmigen, nicht allzu schweren Leinensack. Er kam direkt zu Viktor in seine Ecke und setzte sich neben ihn auf das Bett. Er seufzte, öffnete den Sack und zog ein Paar schwarze, ungeputzte Stiefel heraus.
»Probier an!« sagte er.
Die Stiefel waren zu eng. Viktor bemerkte auch, daß die Sohlen schmutzig und voll Lehm waren.
Maga zog ein weiteres Paar Stiefel aus dem Sack. Das zweite Paar erwies sich als etwas groß, jedoch nicht so sehr, daß Viktor gleich ablehnen wollte. Er machte ein paar Schritte durch seine Ecke und stampfte mit dem linken Bein auf. Wenn man Fußlappen um die Socken wickelte, überlegte er, würden die Stiefel genau passen.
[250] »Ich nehme sie«, sagte er schließlich. »Wieviel willst du dafür?«
Maga sah ihn fast feindselig an. »Bin ich ein Marodeur? Nimm sie umsonst. Sie sind von einem Tschetschenen, dem sie jetzt nichts mehr nützen.«
»Hat man ihn umgebracht?«
»Hier sterben wenige ihren eigenen Tod… Chatschajew habe ich gefunden«, sagte Maga in einem Ton, der keine guten Nachrichten verhieß. »Man kommt nicht zu ihm. Er hat eine Wache von dreißig Mann. Es gibt nur einen Weg zu seinem Haus, und dort wird scharf geschossen. Er treibt keinen Gefangenenhandel und läßt niemanden zu sich. Es gibt nur eine Möglichkeit: Er hat hier sein eigenes Geschäft, du kannst dort als ›Sklave‹ unterkommen, mehr als zwei, drei Monate arbeitet keiner bei ihm.«
»Und was ist das für ein Geschäft?« wollte Viktor wissen.
Maga zuckte die Achseln. »Es ist nicht hier. Ich weiß nicht… Öl, wahrscheinlich. Oder Gas. Man muß erst mal hinkommen.«
»Ich bin einverstanden.«
»Du bist einverstanden?« Maga musterte Viktor scharf. Er klang auf einmal gereizt. »Erst begleichst du deine Rechnung bei mir! Von einem Normalen hätte ich für diese Woche fünfhundert bekommen!«
»Wofür?«
»Für das Ausfindigmachen und die Verhandlungen. Dieser Alte, der mit dir gekommen ist, er hat dem Rotschopf schon achthundert Grüne dafür gegeben, daß er seinen Sohn findet.«
[251] Viktor wurde nachdenklich. Es war ihm irgendwie peinlich, daß Maga wegen ihm Einnahmen entgingen. Und er hatte ja doch schon manches erfahren, also konnte er ihm auch etwas bezahlen.
»Warte im Zimmer«, bat Viktor bedeutungsvoll.
Maga wunderte sich, begab sich aber gehorsam auf die andere Seite der Vorhangdecke und begann gleich ein Gespräch mit dem Alten, der auf seinem Bett neben dem Schrank lag. Sie unterhielten sich leise, und es klang, als ob der Alte sich bei Maga beklagte.
Vom Grund seiner Sporttasche zog Viktor den Beutel mit den Pässen, der Kreditkarte und dem Geld heraus und zählte die Dollars. Es waren fünfhundertsiebzig. Das schien viel, aber es war auch alles, was er hatte. Und was mochte ihn hier noch erwarten? Er beschloß trotzdem, nicht knauserig zu sein und dem Dagestaner zweihundert zu geben, im Austausch gegen noch mehr Informationen und Hilfe. Maga hatte ja schon angedeutet, daß er ihn in dieser Ölfabrik oder was immer es war unterbringen konnte.
Er packte den Beutel mit seinem Inhalt
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