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Pinguine frieren nicht

Pinguine frieren nicht

Titel: Pinguine frieren nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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diesem Flug. Und Champagner getrunken.
    ›Wie hoch ist das hier?‹ überlegte Viktor und versuchte gleichzeitig zu verstehen: Und wie kalt?
    Die Tür öffnete sich knarrend. Auf der Schwelle erschien der Rotschopf und winkte Viktor zu sich.
    41
    Der Hausherr wies Viktor einen mit einer schweren Kamelhaardecke verhängten Winkel zu. Da gab es ein kleines Fenster mit gesprungener Scheibe, ein hölzernes Bettgestell an der Wand und zwei gestreifte Matratzen. Daneben einen Nachttisch, auf dem eine dicke Kerze brannte und unruhige Lichtflecke an die weiße Decke und die Wände warf. An der Wand hingen zwei Kupferteller und das Foto eines jungen Mannes in der Uniform der Sowjetarmee. Quer über der unteren Ecke des Fotos war ein schwarzes Band gespannt.
    [246] Der alte Tschetschene, der Hausherr, sprach nicht russisch. Er führte Viktor nur in seine Ecke, zeigte mit der Hand auf das Bett und ging. Hinter Viktors Rücken bewegte sich die Kamelhaardecke.
    Er stellte seine Tasche auf den Boden, den ein alter, abgetretener Teppich bedeckte, setzte sich auf sein Lager und horchte auf die Stille.
    Aus dem Zimmer, von jenseits der Decke, hörte er Gemurmel, dann ein Rascheln.
    Viktor spähte um die Decke. Der Alte stand mit dem Rücken zu ihm vor dem offenen Schrank. Auf der Spiegelkommode daneben brannte eine Kerze. Viktor sah sich in dem Zimmer um und erblickte ein paar Dutzend Fotografien in alten Holzrähmchen. Von den Fotos selbst konnte er bei dieser Beleuchtung nichts sehen.
    »Gute Nacht!« sagte Viktor leise.
    Der Alte drehte sich um, sah Viktor mißtrauisch an und schüttelte ablehnend den Kopf.
    Morgens klopfte jemand laut an die Haustür. Viktor schlug die Augen auf. Durch das kleine Fenster ergoß sich helles Sonnenlicht, und dieses Licht schien sich dadurch, daß es auf seinem Weg auf das Hindernis in Form der Vorhangdecke traf, in dem Winkel anzusammeln und noch heller zu werden.
    Viktor zog die Hosen der Katastrophenschutzuniform an, warf seinen Schuhen einen feindseligen Blick zu und ging, ohne sie anzuziehen, im T-Shirt ins Zimmer hinüber. Der Alte stand in einem grauen Mantel und hohen schwarzen Stiefeln an der offenen Haustür und redete mit Maga. [247] Sie sprachen tschetschenisch. Als Maga Viktor bemerkte, nickte er ihm zu.
    »Das Waschbecken ist auf dem Hof«, rief er und setzte sein Gespräch mit dem Alten fort.
    Viktor drückte sich an den beiden vorbei durch die Tür und lief in Hosen und T-Shirt hinaus. Der kalte Stein weckte seine nackten Fußsohlen. An der Hauswand erblickte Viktor ein blaues Emailwaschbecken. Er wusch sich mit dem kalten Wasser die Augen, spülte den Mund aus und sah sich nach einem Handtuch um, fand aber keins.
    Die Luft reagierte nicht auf die strahlende Morgensonne. Viktor begann zu frieren, und er kehrte ins Haus zurück. Er trocknete das Gesicht an der Kamelhaardecke und zog sein Hemd und die Katastrophenschutzuniformjacke an.
    Maga hatte seine Unterhaltung mit dem Hausherrn beendet und rief Viktor nach draußen.
    »Hast du Fotos?« fragte er.
    Viktor wußte sofort, was gemeint war. Er erklärte Maga, daß er für seine Suche keine Fotos brauchte. »Es kann keine zwei Pinguine in Tschetschenien geben!« sagte er zu dem Dagestaner. Zuerst sah Maga bestürzt aus. Er fragte ein paarmal nach, weil er dachte, er hätte Viktor nicht richtig verstanden. Als schließlich alles bei ihm angekommen war, sah er Viktor an und schüttelte tief betrübt den Kopf.
    »Und wo suchen? Und wieviel willst du zahlen?«
    »Ein gewisser Chatschajew hat ihn aus Moskau mitgebracht. Mischa-Pinguin ist anscheinend bei ihm.«
    [248] »Denkst du denn, in Tschetschenien kennt jeder jeden, wie in einem russischen Dorf?« Maga sah Viktor stirnrunzelnd an und schien gleichzeitig etwas zu überlegen. »Also wieviel willst du für ihn zahlen?«
    Auf diese Frage war Viktor nicht vorbereitet. Nach einer langen Pause rang er sich ein ›Viel‹ ab. Ihm war klar, daß die Frage sich jetzt so lange wiederholen würde, bis er eine endgültige Summe und Währung nannte. Aber Maga nickte nur.
    »Ich versuche etwas rauszufinden«, sagte er seufzend. »Aber ich verdiene mein Geld nicht mit Pinguinen…«
    »Mit was denn?«
    »Verstehst du, wir haben hier unser ›Grünes Kreuz‹, etwas in der Art wie euer ›Rotes Kreuz‹. Nur privat. Wir suchen Tote und Verschleppte, um sie freizukaufen, helfen Verhandlungen führen, Lösegeld bezahlen… Und dabei kennt und akzeptiert man unsere Preise…«
    »Und was macht der rote

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