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Pinguine frieren nicht

Pinguine frieren nicht

Titel: Pinguine frieren nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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Regalbrettern, standen Geschirr und Töpfe. Auf den oberen Brettern fanden sich zugebundene weiße Stoffsäckchen, ein paar unbeschriftete Konservendosen und eine Literflasche Sonnenblumenöl. Beim Befühlen der Säckchen erkannte Viktor, daß sie Getreide und Nudeln enthielten. Der Stoff war fest und rauh, als hätte ihn jemand vor Gebrauch mit Stärke behandelt.
    Sein Hunger wurde stärker, und Viktor nahm einen Topf und ging Wasser holen.
    50
    Zwei Wochen später fiel auf ihre ›Offshore‹-Zone der erste Schnee. Als Viktor die weißen Flocken vor dem Fenster sah, faßte er frischen Mut. Er dachte an den letzten Winter und die Spaziergänge mit Mischa-Pinguin über den verschneiten Hof. Es war, als kündigte der Schnee Veränderungen an. Auch wenn sich nur das Wetter änderte, schien es plötzlich, als ob mit dem Wetter nur alles anfinge und sich diese Veränderungen bald weiter auf sein ganzes Leben ausdehnen würden.
    [280] Hier im Haus oder in der Krematoriumsbaracke war alles schon fast normal und alltäglich geworden. Viktor hatte sich an die nächtliche Arbeit und den speziellen Geruch gewöhnt, der auch beim Aufwachen immer da war. Irgendwo in der Nähe fand der Krieg statt, manchmal hörten sie Explosionen und Maschinengewehrfeuer. Selten dröhnten Militärflugzeuge und Hubschrauber über sie weg. Der Krieg machte keine Pause. Und genauso pausenlos verbrannten er und Sewa nachts Leichen. Manchmal mehr, manchmal weniger. Die meisten Leichname wurden von Föderalen gebracht. Sie brachten sie in Säcken oder mit umwickeltem Kopf, damit niemand das Gesicht sah. Ein paarmal waren es junge Frauen.
    Tschetschenen kamen seltener. Viktor wußte schon, warum. Es war einfach nicht muselmanische Tradition, Tote und Gefallene zu verbrennen. Das hatte Asa ihm schon vor langem erklärt. Wenn Tschetschenen jemanden brachten, hieß das, derjenige stammte nicht aus Tschetschenien und sie wollten seine Asche zur Beerdigung in seine Heimat schicken. Die Heimat dieser Gefallenen war weit weg, Saudi-Arabien, Jemen oder die Türkei.
    In der Tasche sammelte sich das Kleingeld an. Die Tschetschenen gaben ihr Trinkgeld in kleinen Dollarnoten. Auch die Föderalen verteilten kleine Dollarbeträge, aber noch öfter verschenkten sie Uhren oder goldene Ringe. Viktor wußte, wo das alles herkam, und gab das Gold gern an Sewa weiter. Manchmal gegen Morgen, wenn Asa mit seinem Geschäftsbuch wegging und sich schlafen legte, zog Sewa draußen unter dem nächsten Baum eine eiserne Gußform heraus und holte von irgendwo anders einen [281] gewichtigen Goldklumpen. Den legte er in die Form, legte das neue goldene Stück obendrauf und steckte das Ganze in den Ofen. Wenn er es herauszog, waren die neuen Ringe einfach geschmolzen und hatten dem Barren Gewicht und Wert hinzugefügt. »Weshalb soll irgendwann irgendwer einen Ring oder anderen Schmuck wiedererkennen?« sagte Sewa. »Gold hat auch so Wert, mehr als Dollars!«
    Viktor hätte Sewa gern einen Haufen zynischer Fragen gestellt. Nach seinen Plänen für die Zukunft, und wie er überhaupt hier aus Tschetschenien wieder herauskommen wollte? Aber diese Fragen verdarben Viktor selbst unerwartet die Stimmung. Er konnte sie ja nicht mal für sich selbst beantworten. Die Zeit verstrich, und über den Pinguin hatte er überhaupt nichts herausgefunden. Auch nicht über Chatschajew. Ein paarmal hatte er versucht, Asa auszufragen, aber der wich solchen Gesprächen aus und sah Viktor dabei gereizt und mißtrauisch an. »Was willst du mit Chatschajew?« fragte er einmal. Und Viktor antwortete nicht. Er wollte Asa nicht von Mischa-Pinguin erzählen. ›Man muß warten, nur lange genug warten‹, redete Viktor sich in solchen Momenten zu. ›Das Krematorium ist sein Geschäft. Es kann ja nicht sein, daß der Chef nie bei seiner ›Produktionsstätte‹ vorbeikommt!‹
    Und er wartete. Das hieß, er lebte einfach, arbeitete und aß und trank aus Emailschüsseln, die einst irgendeinem Kindergarten gehört hatten. Dieses Geschirr machte ihn sogar froh; es erinnerte ihn nicht so sehr an seine Kindheit als an jene Nacht in Kiew mit Sweta, an den nächtlichen Kindergarten und den nächtlichen Grießbrei.
    [282] 51
    Immer donnerstags war Sewa gehobener Stimmung. Seine Stimmung war auch sonst gleichbleibend gut, aber am Donnerstag vor dem ›fetten‹ Freitag lebte Viktors Partner doppelt auf. Die Nacht von Donnerstag auf Freitag brachte viel Arbeit, also viele Leichen. An diesem Tag – das hatte Asa vor Sewas

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