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Pinguine frieren nicht

Pinguine frieren nicht

Titel: Pinguine frieren nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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und Viktors Zeit eingeführt – verbrannten sie die Leichen mit Preisnachlaß. Wie groß die Ermäßigung war, wußte weder Sewa noch Viktor, denn die Kunden rechneten immer direkt mit Asa ab. Dafür gab es in dieser Nacht mehr Kunden, und das bedeutete mehr Trinkgeld.
    An diesem Donnerstag wachte Viktor früher als gewöhnlich auf, gegen Mittag. Sie waren auch früher schlafen gegangen – den letzten Leichnam für die Föderalen hatten sie gegen fünf Uhr morgens verbrannt. Die Föderalen hatten sich auf ungewöhnliche Weise bedankt: mit einer Flasche Wodka und neuen russischen Zeitungen. Viktor war erschöpft auf sein Lager gefallen und sofort eingeschlafen, dabei hatte er davon geträumt, wie er morgens nach dem Waschen von Anfang bis Ende die russischen Nachrichten lesen würde. Vielleicht fand sich auch etwas über Kiew. Aber der Traum platzte wie eine Seifenblase, genauer gesagt, er verbrannte. Nach dem ersten Schnee war es in ihrer Hütte deutlich kälter geworden, und Sewa und er standen jetzt immer abwechselnd auf, um in ihrem eisernen Öfchen Holz nachzulegen.
    Als Viktor aufstand und aus dem Zimmer kam, sah er gerade noch, wie Asa im Flur die letzte frische Zeitung in [283] den dortigen Ofen stopfte. Auf dem Ofen kochte Wasser in einem Topf. Asa schob der Zeitung ein paar kurze Scheite hinterher und schloß die Luke. Dann wandte er sich um und sah Viktor. Er nickte ihm zu und griff nach einem Kilopaket Salz, das neben ihm auf dem Boden lag, öffnete das Paket und schüttete das Salz ins kochende Wasser.
    Viktor trat näher und starrte voll dumpfem Staunen in den Topf. Sein Hirn kam erst allmählich in Gang, deshalb begriff er einfach nicht, warum man in einen Wassertopf ein ganzes Kilo Salz schütten sollte.
    Asa erhob sich inzwischen, ging in sein Zimmer und brachte von dort einen Haufen weißer Stoffbeutel, eine Gabel und ein weiteres Paket Salz. Er schüttete auch das zweite Kilo in den Topf, dann warf er die Beutel hinein und drückte sie mit der Gabel unter das kochende Wasser.
    »Was gibt das, Hühnersuppe?« fragte Viktor lachend.
    »Nein«, antwortete Asa todernst. »Der Winter ist da, ist ja schon kalt genug. Bald kommen die Mäuse, und tschetschenische Mäuse sind hundertmal dreister als russische. Sie werden nach unseren Vorräten suchen… aber Salz mögen sie nicht…«
    Asa rührte die kochenden Beutel im Topf um. Er hob den Blick zu Viktor.
    »An dem«, er nickte in Richtung von Viktors und Sewas Zimmer, »nimm dir kein Beispiel! Er ist habgierig. Denkt, ich weiß nichts… Na ja, schon gut…«
    Und Asa verstummte, ohne Viktor zu erzählen, was er von Sewa wußte.
    Viktor ging hinaus ins Freie. Der Himmel war von [284] einem strahlenden Blau. Auf der Erde lag Schnee. Die frische Luft roch angenehm nach Wald.
    Die Nachricht von den verbrannten Zeitungen brachte Sewa nicht aus der Fassung. Er trat mit einem Lächeln auf dem Gesicht aus dem Haus, und dieses Lächeln, das wußte Viktor schon, würde erst verschwinden, wenn gegen Morgen die Erschöpfung kam.
    »Willst du hundert Gramm?« fragte Sewa fröhlich.
    Viktor schüttelte den Kopf. Er wollte keinen Wodka. Er wollte im Gegenteil dieses Gefühl der Wachheit verlängern und noch lange die reine Luft atmen.
    »Gut«, winkte Sewa ab. »›In einem gesunden Körper wohnt ein gesunder Geist!‹ Trinken wir später! In drei Tagen habe ich übrigens Geburtstag!«
    »Wieviel hast du denn auf dem Buckel?« fragte Viktor.
    »Neunzehn.«
    »Ziemlich jung!« In Viktors Stimme kam auf einmal ein herablassender Ton durch.
    »Na und?« Das Lächeln auf Sewas Gesicht wurde für einen Moment sarkastisch. »Dafür lernst du bei mir leben und arbeiten! Und ich hab hier mehr verdient, als du dir je erträumt hast!«
    Viktor wollte nicht streiten. Und wirklich, dachte er, das Alter war im Krieg völlig ohne Bedeutung. Nur Asa notierte das Geburtsjahr der verbrannten Leichname, und auch diese Buchhaltung brauchte am Ende wohl niemand.
    Gegen sechs Uhr abends verschwand die Sonne hinter dem nächsten Berg, und Sewa und Viktor begaben sich wie auf Kommando zum Krematorium. Das Feuer mußte durch die Röhren geschickt werden, der Ofen mußte [285] eingeheizt sein und alles bereit sein für den Kundenempfang. Asa mit seiner Buchführung kam später. Erst kamen die anderen, die den Sonnenuntergang vielleicht mit der gleichen Ungeduld wie Sewa erwarteten.
    Eine halbe Stunde später bullerte in der Krematoriumsröhre schon das Feuer. Ein paar Kerzen erleuchteten

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