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Pinguine frieren nicht

Pinguine frieren nicht

Titel: Pinguine frieren nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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vom strengen Schwefelgeruch gereinigten Luft roch es nach aufgewirbelter Asche.
    »Genug!« befahl Asa, der zu Sewa getreten war. »Laß es abkühlen und verpack es!«
    Ein paar Minuten später hielt Asa Sewa eine Plastiktüte unter den Eimer. Wieder wirbelte aufgescheuchte Asche durch den Raum. Viktor ging zu der weit offenen Tür, blieb dort stehen und atmete tief die reine Luft ein. Er sah die beiden geduldig wartenden Tschetschenen.
    Asa kam mit der Tüte in der Hand zu ihnen heraus, Sewa blieb bei Viktor stehen. Die Tschetschenen übergaben Asa einige Scheine, die Asa im Licht seiner Taschenlampe aufmerksam studierte. Dann schaltete er die Lampe aus.Einer der beiden Tschetschenen trat stumm zu Viktor und Sewa und drückte jedem einen abgegriffenen 5-Dollar-Schein in die Hand.
    Genauso stumm entfernte er sich.
    Jetzt kam Asa zu ihnen. Er sah besorgt aus. »Es sollten noch Föderale kommen, scheint aber nicht so… Ihr bleibt hier, und wenn sie kommen, ruft ihr mich!«
    [277] 49
    Am Morgen hatte Viktor Kopfweh. Vielleicht war es der Schlafmangel, vielleicht der hartnäckige Kerosingestank, von dem seine Matratze förmlich durchtränkt war. Im Hals hatte sich der nächtliche Krematoriumsgeruch in einen unangenehmen Geschmack verwandelt. Auf dem Nachbarbett schnarchte Sewa, das Gesicht in das dicke graue Kissen ohne Bezug gedrückt. Gleichzeitig mit dem Schnarchen entwichen seinem Mund noch andere Laute, er stöhnte im Schlaf oder kommentierte einen Traum. Plötzlich zuckte er nervös, drehte sich mit dem Gesicht zur Wand und kurz darauf wieder auf die andere Seite und lag jetzt schon Viktor zugewandt. Seine Lippen bewegten sich im Schlaf, und sein Gesicht war von Staub oder Ruß bedeckt, vermischt mit Asche.
    Viktor fiel ein, daß er sich auch nicht gewaschen hatte, bevor er bäuchlings auf sein Lager gefallen war. Also sah er sicher ebenso aus wie Sewa. Er berührte sein Gesicht mit dem Finger und fühlte, wie zwischen Finger und Haut trockener Staub rieselte.
    Wann war er eigentlich schlafen gegangen? Der Gedanke tauchte auf, als er einen Blick aus dem Fenster warf, hinter dem ein einförmiges graues Licht stand. Von jenseits dieses Fensters klang das monotone Klopfen vom Himmel fallenden Wassers. Es regnete gemächlich, in dicken Tropfen. Kein starker Regen.
    Viktor dachte an die drei Föderalen, die letzte Nacht noch gekommen waren. Sie hatten einen getöteten Kameraden und eine Flasche Schnaps gebracht und Viktor und [278] Sewa bewirtet. Sie waren bedrückt und finster und sprachen fast kein Wort. Aus Blechbechern tranken sie auf den Toten, schoben ihn in den Ofen und verbrannten ihn in wenigen Stunden. Sewa ging Asa holen, der in sein Buch Name, Geburtsjahr und die Heimatstadt dieses Soldaten eintrug. Viktor erinnerte sich nur noch an die Stadt – Kineschma. Der Name blieb einfach haften. Dann hatten die Soldaten Asa noch bezahlt, in Rubel oder Dollar.
    Die Kopfschmerzen ließen ein wenig nach. Nur der Geschmack im Hals verschwand nicht, und Viktor verspürte das Bedürfnis, Wasser zu trinken. Er ging in den kleinen Flur und sah sich um. Hinter einer Tür schnarchte Asa, hinter der anderen war es still, und dort schaute Viktor rein. Er sah einen altmodischen Schrank mit Spiegel und einen quadratischen Tisch, um den vier grob gezimmerte Hocker standen. Auf dem Fensterbrett unter dem kleinen quadratischen Fenster standen ein paar Emailbecher und ein Stapel ebensolcher Schüsseln.
    Viktor betrat den Raum und ging zum Fenster. Ein seltsames Gefühl überkam ihn, als er entdeckte, daß auf den Bechern die Helden sowjetischer Zeichentrickfilme abgebildet waren – der Wolf aus ›Wolf und Hase‹, das Krokodil Gena, das Tscheburaschka-Männchen und Winnie-Pu.
    Er nahm den Winnie-Pu-Becher hoch, drehte ihn um und sah auf der Unterseite die rote Aufschrift ›Kiga-Inv.‹.
    Er dachte an Sonja. Wie es ihr wohl erging? Dachte sie an ihn? An Mischa?
    Im Flur schlug eine Tür zu, und Viktor fuhr erschrokken herum. Er begegnete Asas verschlafenem Blick. Asa [279] stand barfuß auf den Holzplanken, in wattierten Hosen und einem formlosen, einstmals weißen Unterhemd.
    »Na, suchst du was zu essen?« fragte Asa und zeigte, ohne eine Antwort abzuwarten, mit dem Finger auf den Schrank. »Wasser ist im Eimer links vom Eingang.«
    Erneut schlug eine Tür zu, und Viktor war wieder allein. Er öffnete den Schrank. Zwei Armeemäntel und eine komplette Milizuniform hingen da auf Kleiderbügeln. In der linken Abteilung, auf den

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