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Pinguine frieren nicht

Pinguine frieren nicht

Titel: Pinguine frieren nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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schwach das Innere der Baracke. Sewa patrouillierte noch mal mit der Taschenlampe in der Hand an den Gasdruckanzeigern entlang, öffnete das große ›Abschiedsventil‹ noch etwas weiter und ging dann an die frische Luft, eine rauchen. Viktor blieb noch bei der bullernden Röhre. Gerade erst begann sie Wärme auszustrahlen, und diese Wärme kroch angenehm in die Uniformjacke und wärmte Hände und Gesicht. In zehn Minuten würde es richtig heiß werden. Dann mußte man drei Meter zur Seite gehen, um eine ›gemäßigte‹, angenehme Wärme zu genießen.
    Draußen schneite es jetzt. Sewa rauchte die letzten Züge und betrachtete die Schneeflocken, die vor seine Füße fielen. Gleichzeitig lauschte er auf die Schritte der ersten Kunden. Er überlegte, wer heute als erster kommen würde. Tschetschenen oder Föderale? Nach kurzem Abwägen setzte Sewa auf die Föderalen. Und irrte sich.
    Fünf Minuten später traten von der Pipeline her drei Gestalten aus dem Dunkel. Zwei trugen einen in eine Decke oder einen Mantel gerollten Körper. Der dritte folgte ihnen mit tief gesenktem Kopf.
    ›Tschetschenen!‹ erkannte Sewa in der Dunkelheit und war einen Moment lang erbost – er hatte gegen sich selbst verloren. Im übrigen ist gegen sich selbst anzutreten ungefährlich und Verlieren dabei unmöglich.
    [286] Die beiden, die den Körper trugen, hielten vor Sewa am Eingang zur Krematoriumsbaracke und ließen ihre Last vorsichtig zur Erde gleiten.
    »Ist Asa hier?« fragte einer der Tschetschenen.
    Als das verneint wurde, schickte er sofort Sewa los, um Asa zu holen. Die Tschetschenen hoben den Körper hoch und traten durch die offene Tür, aus der ihnen warme Luft entgegenschlug. Ihr dritter Weggenosse setzte sich erschöpft einfach in den frischgefallenen Schnee an den Baum.
    Die Tschetschenen, beide hochgewachsen und kräftig, mit kurzen, dichten Schnauzbärten, blieben vor Viktor stehen. »Mach deinen Ofen auf!« kommandierte der eine.
    Viktor spähte hinüber zu dem in Mantelstoff eingewickelten Leichnam. Irgendwas trieb ihn, die Entscheidung hinauszuzögern. Er hatte diese Tschetschenen noch nie hier gesehen, und im Vergleich zu den anderen verhielten sie sich ziemlich dreist. Die anderen kamen fast als Bittende, er und Sewa erwiesen ihnen einen bezahlten Dienst, aber diese traten auf, als wären sie hier die Herren.
    »Wir müssen auf Asa warten«, sagte Viktor langsam.
    »Was ist, bist du neu?« Der zweite Tschetschene trat einen Schritt vor und starrte Viktor mit schräggeneigtem Kopf ins Gesicht. Viktor wurde es unbehaglich.
    »Los, mach auf«, wiederholte der Tschetschene. »Wir haben wenig Zeit!«
    Viktor holte tief Luft und öffnete die beiden eisernen Luken. Die Tschetschenen entrollten den Mantelstoff, und Viktor konnte den Blick nicht von dem Leichnam lösen. Es war ein junger Mann von vielleicht zwanzig Jahren, dem [287] Aussehen nach ein Russe. Ein kariertes Flanellhemd und Jeans, im Ohr ein kleines goldenes Sternchen. Eindeutig kein Soldat. Das Gesicht war mager und bleich, aber schließlich gibt es keine rotbackigen Toten.
    »Was guckst du so? Ist er dein Freund, oder was?« sagte einer der Tschetschenen und beugte sich über den Körper. Sie packten den Toten an Armen und Beinen und schoben ihn rasch mit den Füßen voran in die Feuerung.
    »Arbeiten, nicht stehen!« rief wieder einer Viktor zu, und der schreckte auf und verschloß erst die innere Luke, dann die äußere. Er drehte das ›Abschiedsventil‹ und ließ Gas zu. In der Röhre bullerte es los.
    »Alles, was übrigbleibt, gibst du dem Alten! Er ist da draußen!« Der Tschetschene wies auf die weit geöffnete Tür. »Und höflich, anständig!«
    Die Tschetschenen marschierten zum Ausgang.
    »Und Name und Geburtsjahr?« rief Viktor ihnen hinterher.
    »Sagt der Alte!«
    Kurz darauf kamen Asa und Sewa in die Baracke, Asa wie immer mit dem Buch unterm Arm. Er brummte auf aserbaidschanisch vor sich hin und war sichtlich unzufrieden.
    »Der Alte draußen nennt uns den Namen«, sagte Viktor.
    »Hat er schon«, antwortete Sewa an Asas Stelle.
    Asa stapfte vor dem Krematoriumsofen auf und ab. Er schnupperte an der heißen, säuerlichen Luft, verzog sein rundes Gesicht, knurrte: »In einer Stunde komme ich wieder!« und verschwand.
    »Was hat er denn?« fragte Viktor.
    [288] »Sie haben für den Kunden nichts bezahlt.« Sewa nickte in Richtung Ofen. »Jedenfalls ihm nicht«, fügte er achselzuckend hinzu. »Für uns fällt ja vielleicht noch was

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