Pinguine lieben nur einmal
Satz nachzudenken, bevor er meinen Lippen entwischt, ist total absurd. Das würde ich nie hinbekommen.
Und überhaupt: Wenn es stimmt, dass behinderte Menschen ganz normal behandelt werden wollen, dann sollte ich nicht auf meine Worte achten müssen!
»Na ja, die Sache ist nur, dass ich bisher erst fünf Worte mit Janosch gesprochen habe, und trotzdem habe ich es immer geschafft, etwas zu sagen, wodurch er sich angegriffen gefühlt hat. Er war dann fast beleidigt. Er ist komisch.«
»Vielleicht hat er irgendeinen Komplex oder so. Von mir wird er jedenfalls keine Sonderbehandlung bekommen, zumindest nicht wegen der Behinderung.« Er sagt das schmunzelnd: zumindest nicht wegen der Behinderung!
»Weswegen dann?«
Cem schweigt und bringt damit das rote Lämpchen am oberen Ende meines Neugierometers zum Blinken.
»Weswegen?«
Der akzentfreie italienische Eisverkäufer küsst die ebenfalls akzentfreie Deutsche. Nicht, dass ich es nicht schon vorher gewusst hätte. Sie bereiten sich auf die obligatorische gemeinsame Nacht vor dem großen Streit vor.
Cem räuspert sich, spielt mit seinen Fingern und verdreht abschweifend die Augen. »Er sieht ziemlich gut aus.«
» CEM !«
Es ist also nicht nur mir aufgefallen, rede ich mir zu. Das ist gut. Nicht nur ich mache mir allem Anschein nach Gedanken über das Aussehen eines Menschen, der selbst gar nicht weiß, wie er aussieht.
Er setzt einen Sorry-aber-ist-doch-so-Gesichtsausdruck auf und widmet sich dann wieder dem multilingualen Eisverkäufer.
Schlafen, Feli. Schlafen, nicht grübeln.
Ich grübele.
Ich kann nicht schlafen.
Scheiße. Oha. Fluchen ist gut. Fluchen hilft.
Es ist so: Ich wirke auf Jungs– oder nennen wir sie mal Männer, meine Güte, ich bin zwanzig Jahre alt– nun mal nicht so wie ein Stück Schokotorte auf mich. Ich ziehe sie nicht an. Nicht, dass mich ein Stück Schokotorte sexuell anziehen würde, aber die Wechselwirkungen zwischen mir und Schoki sind sexueller Begierde nicht ganz unähnlich.
Männer finden mich lustig, und das gefällt mir. Ich halte Humor für eine unglaublich wichtige Charaktereigenschaft. Ich möchte aber nicht, dass mich tolle Männer lustig finden– zumindest nicht ausschließlich. Schön wäre es, wenn mein vorhandener Humor mit einem– leider nicht vorhandenen– umwerfenden Äußeren verschmelzen würde.
Ich bin nicht gerade schlank. Und meine Knie und Füße sind zugegebenermaßen verdammt hässlich. Ich habe schon wirklich oft versucht, meine Figur zu ändern, aber ich habe das mit dem inneren Schweinehund irgendwie noch nicht richtig verstanden.
Im Grunde ist es Männern total egal, ob du dick oder dünn bist, ob du Plattfüße oder Fettpolsterknie hast, solange du ihnen nur als ganz normales menschliches Wesen erscheinst, das rein zufällig über einen weiblichen Chromosomensatz verfügt. Erst ab dem Moment, in dem sie merken, dass von deiner Seite aus mehr als Kumpelgefühle bestehen, ändert sich das alles schlagartig! Sobald sie das mitbekommen, suchen sie das Weite. Sie vergessen, dass sie deinen Humor stets geschätzt haben, ebenso wie die gemeinsamen Stunden, in denen sie dir euphorisch im Lachanfall das Schultergelenk zertrümmert und nach dem Bier ungeniert gerülpst haben. Das waren jene Zeiten, in denen sie noch nicht wussten, dass auch du einen Sexualtrieb besitzt.
Ich hatte nie ein Problem damit, gute Freundschaften zu Männern aufzubauen. Allerdings endeten diese Freundschaften meist in einem schrecklichen Gefühlschaos, weil ich mich früher oder später in die Typen verliebt habe und fortan nicht mehr dieselbe war. Meinen Humor setzte ich daraufhin spartanischer ein, an Saufgelagen nahm ich nur noch als stiller Beisitzer teil, und wenn mir jemand auf die Schulter klopfte oder in meinem Beisein rülpste, nahm ich das zum Anlass, mich zu beschweren und darauf hinzuweisen, dass ich ein Mädchen bin.
Ich habe einen Freund, den ich noch aus der Schule kenne. Jojo hat mich genau so lange als seine beste Freundin bezeichnet, bis ich anfing, ihm des Nachts SMS zu schreiben, die nicht einfach nur hohl und lächerlich waren, sondern ihn auch zu tiefgründigen Gesprächen aufforderten. Ich erzählte ihm von meinen Träumen, berichtete ihm, wann ich aus welchem Grund auch immer an ihn denken musste, und beging auch sonst jeden Fehler, den man nur machen kann. Plötzlich sah er mich in einem anderen Licht, beäugte kritisch mein Verhalten, meine Kleidung, mein Aussehen.
In der elften Klasse sagte er
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