Pinguine lieben nur einmal
Tag.
Sportmachen ist leider unmöglich. Das kann ich einfach nicht. Welchen Sport auch? Der einzige, den man ohne Mitgliedschaft im Fitnessstudio und ohne viel Ahnung ausführen kann, ist Joggen, und dafür bin ich nicht geschaffen. Ich kann es schlicht und ergreifend nicht. Manche Menschen können nicht mit den Ohren wackeln, andere können die Zunge nicht rollen, wieder andere haben Legasthenie. Ich kann nicht joggen. Nach wenigen Metern krieche ich auf dem Bauchnabel über den Waldboden und bete die Natur an, mich umzubringen. Sport ist nichts für mich. Er frustriert. Er ist anstrengend. Er hasst mich!
Nach einem allsamstäglichen Shoppingexkurs treffen Cem und ich im Erdgeschoss auf Steffi von nebenan. Sie erzählt, dass sie einen neuen Mitbewohner habe. Cem und ich wechseln einen Blick, und ich vermute, wir befürchten beide, dass wir ab sofort gar keinen Abend mehr erleben werden, an dem uns Steffi nicht in den Schlaf stöhnt.
»Ich verteile die hier an alle Mieter im Haus. Mein neuer Mitbewohner muss gefeiert werden«, zirpt Steffi, und ich kann ihre sexuelle Aura förmlich pulsieren sehen. Sie ist wirklich nett und alles, aber ich behaupte gerne lästernd hinter ihrem Rücken, dass sie für jeden Mann gut sichtbar Begatte mich auf der Stirn stehen hat.
Sie drückt Cem einen Bogen kreischrosa Papier in die Hand. Ich luge ihm über die Schulter und lese die wenigen Buchstaben, die darauf gedruckt sind:
STEFFI feiert MIRKOS EINZUG
HEUTE ab 21.00 h in der 5
Bitte Getränke mitbringen
Poetisch klingt anders, aber eine Party ist nett. Ich bin nur irgendwie nicht in Partylaune.
»Super, wir kommen«, verkündet Cem, ohne mich zu fragen, mit vor Enthusiasmus leuchtenden Augen.
Durch die Eingangstür kommt plötzlich ein Duo herein, das mich wieder ganz durcheinanderbringt: Simon und Janosch. Janosch und Simon. Zum ersten Mal sehe ich sie gemeinsam.
Ich habe keinen der beiden in letzter Zeit getroffen und merke sofort, dass ich heute Nacht wieder nur mit Rufus’ Hilfe einschlafen werde. Aber wahrscheinlich ist heute Nacht sowieso nicht an Schlaf zu denken, weil Steffi eine Wohnung weiter lautstark die Party des Millenniums schmeißt.
Janosch hat eine schwarze Ray-Ban-Sonnenbrille auf der Nase. Das finde ich jetzt ein bisschen stereotyp.
»Hallo, schön, euch mal wieder zu treffen«, grüßt Simon mit der für ihn typischen Extraportion Charme und guter Laune.
»Hallo«, murmele ich kleinlaut und ertappe mich dabei, wie ich mir wünsche, Janosch würde meine Stimme nicht erkennen. Harry Potter und der Feuerkelch von Joanne K. Rowling, gelesen von Rufus Beck, versuche ich mir ins Gedächtnis zu rufen, damit ich nicht wieder über diesen Mist nachdenke. Meine Stimme nicht erkennen? Warum wünsche ich mir so etwas?
Wo war ich beim letzten Mal stehen geblieben? Ach ja, beim Kapitel Die unverzeihlichen Flüche. Was passiert da noch mal? Ich kann mich nicht erinnern. Alles weg. Weggepustet, leergefegt.
Steffi lächelt die Jungs an, nicht so, als würde sie gerade angestrengt Zeilen aus einem Fantasy-Roman rezitieren, sondern so, als würde sie die Schrift auf ihrer Stirn in Neonfarben aufleuchten lassen. Blinkblink. Begatte mich. Schnell. Hier und jetzt. Blinkblink.
Sie weiß, dass bei Cem mit diesem Blick nicht viel zu holen ist, im Gegensatz zu den meisten anderen männlichen Wesen. Ob sie Simon oder Janosch anflirtet, weiß ich nicht genau. Ich denke, sie signalisiert beiden Bereitschaft.
»Seid ihr die neuen Mieter?«, will sie wissen. Blinkblink.
»Oh, nein, ich nicht«, antwortet Simon.
Ich stelle genügsam fest, dass er ihren Geschlechtsverkehrblick nicht erwidert. Er sieht sie genauso an wie sonst mich.
» Ich wohne hier.« Janoschs Stimme ist ernst, genervt, als würde man ihm diese Frage zum abertausendsten Mal stellen.
»Oh. Okay«, sein Tonfall ernüchtert Steffi. »Ja, also, ich geb heute ’ne Party.« Sie hält beiden je ein Papier hin. Simon ergreift sie alle beide, bevor die Situation unangenehm werden kann. »Du kannst gerne mitkommen. Auch wenn du nicht hier wohnst.«
Simon bedankt sich lächelnd.
»Und du sowieso, als neuer Nachbar.« Steffi versucht noch mal, Janosch durch die rabenschwarzen Brillengläser hindurch anzubaggern. »Hey, ist es echt so sonnig draußen?«, fragt sie dann, indem sie auf die Sonnenbrille deutet, und ich spüre sofort Fremdscham in mir aufsteigen.
Ich schäme mich regelmäßig fremd. Es ist leichter, sich um anderer Leute Missetaten Gedanken zu machen
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