Pinguine lieben nur einmal
der ich schon weiß, wie sie weitergehen wird, folgen kann.
»Also, ich hab mich auf Steffis Party ziemlich gut mit ihm unterhalten. Heute haben wir uns im Bus getroffen, und er hat mich von sich aus angequatscht.«
»Und?«
»Naaaaa, du weißt schon. Der ist schon toll.«
Ich versuche mir ein Bild von ihm ins Gedächtnis zu rufen. Mirko ist ein kaum zwanzigjähriger, blondgelockter Jüngling, der bei Steffis Party eines von diesen Strickjäckchen anhatte, die man bei Frauen Cardigan nennt. Ist mir ein Rätsel, wie das bei Männern modern werden konnte. Manche Relikte aus Opas Zeiten sollten einfach Relikte bleiben.
»Der hat mit Sicherheit noch keine Haare auf der Brust«, kommentiere ich meine Vorstellung von Mirko.
»Ich wollte fragen, ob du… na ja, weißt du, ich hab echt genug davon, mich an Jungs ranzumachen, die denken, ich will bloß mit ihnen ein Bierchen trinken gehen und danach Playstation zocken.«
»Du willst dieses Mal wissen, welche sexuelle Gesinnung das Objekt deiner Begierde hat, bevor du die Schmetterlinge fliegen lässt?«
»Ja«, ist Cems knappe Antwort.
»Weise Entscheidung. Dann frag ihn.«
»Na, ich dachte, das könntest du übernehmen!«
Ich falle aus allen Wolken. Wie stellt er sich das denn vor? Soll ich mal mir nichts, dir nichts zu diesem Typen rennen, mit dem ich bisher ganze vier Worte gesprochen habe ( Willkommen in der Nachbarschaft! ), und ihn fragen, ob er eher mit einem oder doch lieber zwei X-Chromosomen das Bettchen teilt.
» ICH ?«
Cem schenkt mir Saft nach und lässt die Hundeaugen glänzen. Diese Geste würde bei mir augenblicklich Wirkung zeigen, wenn er ein Golden Retriever wäre. Ist er aber nicht. Er ist nicht mal blond.
Dann fällt mir etwas ein, das alles Nachfragen überflüssig macht: »Ich weiß es schon.«
»Tust du nicht!«
»Stimmt. Tue ich auch nicht. Aber ich weiß eines…«
Ich lass mich feiern, während Cem auf seinem Stuhl hin und her rutscht.
»…er studiert Grundschullehramt.«
» STRIKE !«
ICH HABE ECHT VIELE VORURTEILE
Schlimm ist das. Aber es gibt einfach viel zu viele Vorurteile, die zutreffen. Grundschullehrer sind für mich schwul, weil Sophie Grundschullehramt studiert und mir berichtet hat, dass es unter den hundert Studenten ihres Jahrgangs nur drei Männer gibt, von denen zwei Drittel schwul sind. Mirko ist quasi mit sechsundsechzigprozentiger Wahrscheinlichkeit ebenfalls schwul.
Kunststudentinnen halte ich von vornherein für zickige Biester, da ich schon viele Kunststudentinnen getroffen habe, auf die die Beschreibung zickiges Biest wie angeschneidert passte.
Mädchen mit Tierprint- oder Lackstiefeln trete ich ebenfalls vorurteilsbelastet entgegen, weil in Wildkatzenoptik selbst ein vergoldeter Ferrari billig aussähe.
Außerdem habe ich Vorurteile gegenüber Männern mit gezupften Augenbrauen, Menschen, die Holger oder Dörte heißen, gegen Kosmetik-, Nagel- und Bräunungsstudios sowie Leute, die diese Etablissements regelmäßig aufsuchen, gegen Fans von Gangster-Rap, gegen Menschen, die lange Ledermäntel tragen, und Männer mit Nikolausbärten. Diese Liste wächst stetig.
Das Schlimme ist: Begegnet jemand mir mit Vorurteilen und Oberflächlichkeit, finde ich das sehr ungerecht. Auch wenn ich mir wünsche, stets neutral behandelt zu werden, fällt es mir selbst meistens ziemlich schwer, unbefangen Kontakte zu knüpfen. Das zählt wohl zu meinen eher schwächeren Charakterzügen.
Dieses eine Mal hat mein Schubladendenken wenigstens eine gute Tat bewirkt: Cem schwingt gut gelaunt und optimistisch im Badezimmer den Wischmopp und singt dazu paradoxerweise ein Robbie-Williams-Lied. Er ist ausgezeichneter Laune, weshalb ihm nicht mal auffällt, dass eigentlich ich mit Putzen an der Reihe wäre.
In dieser Nacht habe ich einen wirren, aber schönen Traum. Ohne zu viel verraten zu wollen, kann ich sagen, dass Janosch und ich darin vorkommen. Wir liegen nah aneinander, und obwohl ich nicht mal genau weiß, wo wir uns befinden oder wie und warum wir dorthin gekommen sind, wird mir bewusst, dass ich Janoschs Haut unter meinen Fingerspitzen fühle und dass sie nicht nur sehr weich, sondern auch sehr nackt ist. Ich bin in seine Arme gewickelt, drücke die Nase gegen seine Brust, meine Hand streichelt seinen Rücken und seine mein Haar. Er bedeckt meine Stirn mit Küssen und führt dann mein Gesicht an seins heran, um mich auf den Mund zu küssen.
Bevor Janosch mich jedoch auf den Mund küssen kann, schreit mein Handywecker,
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