Pinguine lieben nur einmal
neun und draußen herrscht eine viel zu dichte, drückende Dunkelheit, liege ich auf meinem Bett, weiche mit meinen nassen Haaren alle Kissen ein und starre an die Decke. Ich kaue an den Nägeln. Der Nagellack, den ich erst vor einer Viertelstunde aufgepinselt habe, um mich abzulenken, blättert schon wieder ab. Auch gut. So ein halb abgeknabberter Nagellack (Cem nennt die Farbe immer zynisch puffrot) sieht doch punkig aus, versuche ich einen lustigen Gedanken. Aber nicht mal mehr ich finde meine Gedanken noch lustig.
Ich denke wieder an mein Gespräch mit Simon. Seit er weg ist, geht mir jedes einzelne Wort im Schädel herum, und ich frage mich, ob ich es wirklich habe wissen wollen. Ich habe mir unzählige Male den Kopf gerieben, damit er nicht platzt, und jede der drei Tassen Kaffee, die ich mir seither gekocht habe, gedankenversunken kalt werden lassen.
Eigentlich wollte ich einen Film mit Matthew McConaughey gucken, aber es wollte nicht so recht klappen, weil Cem neben mir saß, mir im Sekundentakt seine Liebe zu Matthew gestand und mich ständig fragte, wie man den komplizierten Nachnamen schreibt. Das müsse er unbedingt wissen, nur für den Fall, dass er eines Tages einen Fanbrief aufsetze. Nach einer halben Stunde fragte er, ob das Word-Rechtschreibprogramm den Nachnamen wohl gespeichert habe und notfalls korrigieren könnte. Ich weiß, dass Cem witzig sein und mich in ein nettes Gespräch verwickeln wollte, aber es ging nicht. Ich bin aufgestanden, habe spielverderberhaft gesagt: »Keine Ahnung, Cem, ist mir auch egal«, und mich unter die heiße Dusche gestellt.
Jetzt lieg ich hier und höre meine melancholische Playlist. Mein Kleinhirn versucht verzweifelt, all die neuen Informationen irgendwo abzuspeichern. In keine der vielen Schubladen, die sich in meinem Hirn zur Informationsspeicherung befinden, will das, was Simon mir erzählt hat, so recht hineinpassen.
DIE BESTE STRATEGIE: EINFACH MAL DIE KLAPPE HALTEN
Es ist ein Ding der Unmöglichkeit für mich: Die Klappe zu halten gehört ebenso wenig zu meinen Stärken wie olympischer Zehnkampf oder perfektes Mandarin.
Ich will zu Janosch. Ich will umarmt werden, so fest, dass ich keine Luft mehr bekomme. Oder sollte ich diejenige sein, die ihn in den Arm nimmt? Nein. Alles ist normal, alles wie immer. Verdrängung ist wohl das Beste. Schlicht so tun, als hätte es den blöden Streit gar nicht gegeben, nie wieder unangebrachte Fragen stellen und auf keinen Fall von dem Gespräch mit Simon erzählen.
Die melancholische Playlist tut heute ihren Dienst nicht. Auch nicht nachdem ich mehrmals 9 Crimes gehört habe. Dabei will ich nur endlich einschlafen. Ich kann es aber nicht. Es ist schon fast zwölf. Der Gedanke daran, dass es schon fast zwölf ist und ich in sieben Stunden aufstehen muss, obwohl ich doch am liebsten immer sieb zehn Stunden lang schlafe, macht mich erst recht schlaflos. Ich strenge mich an, aber mein Hirn arbeitet so heftig wie Windows98 bei dem Versuch, zwanzig Programme auf einmal auszuführen. Also höre ich natürlich Harry Potter. Heute habe ich mir Die Heiligtümer des Todes ausgesucht.
Harry feiert bei ohrenbetäubender Lautstärke meines CD -Players seinen siebzehnten Geburtstag (Mrs. Weasley hat einen Kuchen in Form eines Schnatzes gebacken), da klopft es an der Tür. Cem steckt seinen strubbeligen, verschlafenen Kopf herein.
»Feli? Weißt du, wie saulaut du bist?«
»Das bin nicht ich. Das ist Rufus Beck, der die Stimme von Hagrid nachmacht.«
»Ja, wirklich total lustig. Ich schreibe morgen eine Klausur. Mach bitte leiser. Sonst stehen hier gleich sämtliche Nachbarn aus dem Umkreis von dreißig Kilometern auf der Matte.«
»Dann ziehe ich eben eine Dreißig-Kilometer-Todeszone um mich herum. Das haben die sechsundachtzig in Tschernobyl auch so gemacht. Ich bin dann quasi ein Atomkraftwerk.«
»Hör auf, krampfhaft witzig sein zu wollen, und sag Rufus Beck, er soll die Stimme von Hagrid gefälligst leiser nachmachen.«
Meckerliese. Cem ist aber auch empfindlich. Weiß er denn nicht, wie mies es mir geht? In dem Fall wird man doch wenigstens ein bisschen übertreiben dürfen. Da fällt mir ein: Nein, er weiß nicht, wie mies es mir geht. Ich habe es ihm nämlich nicht gesagt.
Ich drehe die Laustärke von acht auf sieben, der Unterschied ist bloß gering. Wenn ich ehrlich bin, will ich Cem ein bisschen auf die Palme bringen, warum, weiß ich auch nicht. Vielleicht, weil es mir guttun würde, mich mit jemandem zu
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