Pinguinwetter: Roman (German Edition)
Wilde-Reinhart mit einem leicht ungehaltenen Unterton, »da muss man ja immer was angeben. Wir halten es aber nicht für korrekt, Mütter in Erziehungskorsetts zu pressen. Jede Frau entscheidet doch für sich, wann sie bereit ist, der Doppelbelastung standhalten zu können.«
»Äh …«
»Also, den Bereich, den Frau Lahme-Witterschlick maßgeblich betreut, wollen wir aufgrund der stetig ansteigenden Nachfrage weiter ausbauen.«
Ich nickte zustimmend. »Ansteigende Nachfrage klingt doch ganz wunderbar. Schön, dass es so gut für Ihren Verlag läuft.«
Vielleicht ist der Koja Verlag wirklich auf Erfolgskurs?
»Na ja, das kommt wohl auf die Perspektive an, aus der Sie das Thema betrachten.«
Was soll das denn jetzt schon wieder bedeuten? Eine steigende Nachfrage bedeutet steigenden Umsatz, Wachstum und Kapazität für neue Titel – was kann daran schlecht sein?
»Immerhin wird heute immer noch Millionen von Frauen eingeredet, sie müssten ihre Kinder in einer unpersönlichen, Gewalt provozierenden Umgebung wie einem Krankenhaus zur Welt bringen.«
Ich kräuselte die Stirn. »Ich verstehe nicht ganz …«
»Was wissen Sie über gewaltfreie Geburt?«
»Äh …«
»Engelbegleitung in der Schwangerschaft? Schwanger durch Pendeln? Stillen und Rückbildung?«
»Äh …«
»Sanfte Hausgeburt und Wochenbett?«
Mein Kopfkino zeigte einen Schnelldurchlauf aller mir je von Trine aufgezwungenen Best-of-Plazenta-Gemetzel-Storys (und das waren unzählige!), und trotzdem fiel mir keine passendere Antwort ein als: »Ich weiß, dass es … äh … ziemlich wehtut?«
Mein Hirn ratterte so sehr, dass ich befürchtete, Frau Wilde-Reinhart könne es hören. Ich war hier anscheinend allen Ernstes an einen Esoterikverlag geraten, der Sachbücher herausbrachte wie Geboren im Schutz der Göttin: Weiberkraft für Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett, über die ich mich mit Trine in deren Schwangerschaft mit Finn beinahe halb totgelacht hatte. Wir hatten es damals nicht fassen können, dass es tatsächlich Paare gab, die die Plazenta nach der Geburt zusammen verzehrten. Gebraten, versteht sich.
»Sie haben wohl keine Kinder?«, erkundigte Frau Wilde-Reinhart sich nun, und obwohl sie die Frage diesmal auch als Frage formulierte, konnte ich einen gewissen rhetorischen Unterton heraushören.
»Um Himmels willen, nein! Gott sei Dank!«, entfuhr es mir, doch im selben Augenblick biss ich mir auf die Lippen. »Ich meine natürlich, noch nicht«, verbesserte ich mich.
»Ah ja«, konstatierte Frau Wilde-Reinhart trocken, »Sie mögen also keine Kinder?«
Meine Mimik wehrte sich standhaft gegen ein Lächeln. »Aber natürlich! Im Gegenteil! Ich ver-göt-te-re sie!«
Selbst ein blinder Taubstummer hätte mir diese Behauptung nicht abgenommen, und auch Frau Wilde-Reinhart musterte mich skeptisch. Ich rief die letzten Finn-Aktionen in meinem ratternden Gedächtnis ab.
»Also, Sie müssen wissen, dass ich sogar ein Patenkind habe, Finn.« Ich versuchte erneut zu lächeln. »Er ist drei … oder vier, na ja, irgendwas zwischen drei und fünf jedenfalls, und mit ihm unternehme ich regelmäßig lustige Sachen.«
»Und was zum Beispiel?«
Ich holte tief Luft.
Frau Wilde-Reinhart sah mich immer noch prüfend an. »Was haben Sie denn als Letztes zusammen unternommen?«, hakte sie weiter nach.
Mir fiel auf die Schnelle nichts Passendes ein, und ein weiteres Zögern hätte sie vielleicht dahingehend gedeutet, dass ich log. Also antwortete ich wahrheitsgemäß: »Na ja, wir waren kürzlich zusammen einkaufen. Also, das heißt, er wollte von selbst ins Småland.« Ich hob entschuldigend die Schultern. »Man kann ein Kind ja nicht zwingen mitzukommen, das sehen Sie sicher genauso …«
Frau Wilde-Reinhart hob überrascht ihre unkontrolliert wuchernden Augenbrauen. »Und was genau war dann ihre gemeinsame Aktivität?«
»Na ja, wir wollten danach zusammen was essen gehen. Ich meine, es konnte ja keiner ahnen, dass er so einfach aus dieser höchst unprofessionellen Betreuungsstätte entführt werden würde … Also, natürlich nicht entführt in dem Sinne, nicht so, wie Sie es verstehen würden, meine ich …«
»Ich glaube, ich habe genug gehört«, unterbrach Frau Wilde-Reinhart meine Bemühungen. »Ich denke, ich kann jetzt schon eine Einschätzung abgeben.« Frau Wilde-Reinharts graues Kinnhaar wackelte, als sie das sagte.
Ich atmete tief durch. Wieder mal hatte ich mich um Kopf und Kragen geredet. Dabei war es doch nicht meine
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