Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Pinien sind stumme Zeugen

Pinien sind stumme Zeugen

Titel: Pinien sind stumme Zeugen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
Vom Netzwerk:
gemachte Nest; das war durchaus wörtlich zu verstehen, denn die mit Stroh ausgelegten Erdbunker erwiesen sich vergleichsweise als Luxusquartiere.
    Sie fanden sich sofort zurecht. Schnell Freunde zu gewinnen, hatte ihre Generation genauso rasch gelernt, wie plötzlich von ihnen Abschied zu nehmen. Sie ließen sich einweisen, prägten sich die Schleichpfade ein, die durch Satans Reservat führten, vorbei an Unterweltsbunkern und Liebesnestern.
    Eines der Mädchen in diesem Dschungel am Meer mit einem schrecklich zerschnittenen Gesicht wurde erhängt an einem Baum gefunden. Die Italienerin hatte sich geweigert, die Calabrese-Bande als Zuhälter anzuerkennen und – von den Banditen zur Abschreckung verunstaltet – Selbstmord begangen.
    Sie wurde von Käuflichen abgenommen und in den sumpfigen Boden gebettet. Dann markierten sie die primitive Grabstätte mit einem weißen Kreuz auf der danebenstehenden Pinie. Viele Pinien trugen jetzt bereits ein weißes Kreuz. Keiner kannte den Namen der Toten, ihr Alter, ihre Nationalität, ihre Herkunft – oft nicht einmal die Todesursache. Es gab kein Standesamt, keinen Arzt und keinen Pfarrer – eigentlich niemanden, der sich für die Toten interessierte.
    Die einzige Möglichkeit, Tombolo zu überleben, waren Selbsthilfegruppen. Die farbigen Deserteure zeigten eine erstaunliche Zuneigung zu den älteren Segnorine. Ihre Anhänglichkeit war wild und total; sie waren bereit, ihren Freundinnen alles zu geben, doch führte ihre Leidenschaft oft zu grundlosen Entladungen der Eifersucht: himmelhochjauchzend, zu Tode betrübt – Goethe á la Tombolo.
    Wer vorsichtig war, konnte die schlimmsten Auswüchse meiden. Die Wege der drei Deutschen, die von Kanonenfutter zu Kriegsveteranen geworden waren, schienen vorgezeichnet: Bruno Panizza, der Zweisprachige, war ein gefragter Dolmetscher, wenn es um wichtigere Verständigung ging als ›fare l'amore‹ oder ›costa quanta?‹. Kopetzky, einst divisionsweit als glänzender Organisator bekannt und mit einem dehnbaren Gewissen ausgestattet, würde mit Schwarzmarktgeschäften bestens zurechtkommen, und auch Sollfrei fand eine Aufgabe. Als er hörte, daß in der Nacht einige seiner neuen Freunde auf die Wildschweinpirsch gehen wollten, schloß er sich an. Natürlich waren auch Bruno und der Gorilla dabei. Sie legten sich ein paar Stunden auf das Strohlager, um beim Halali auf dem Damm zu sein.
    Charly Poletto schlug seinen Gefährten unterwegs vor: »Vielleicht sollten wir uns mehr in südöstlicher Richtung absetzen. Da machen wir sicher keinen Fehler, falls die Deutschen mich richtig informiert haben.«
    Die Begleiter waren einverstanden, und die Ausbrechergruppe änderte die Richtung. Ein Italiener sprach Charly an: »Die Signora möchte Sie sprechen«, sagte er. »Signora Gina Vanoni.«
    Der Amerikaner sah die blonde Unnahbarkeit, wie immer umgeben von Männern, die fortgesetzt ihre Zurückhaltung beweisen mußten. Jedenfalls trat die Italienerin in der Huren-Region auf wie eine Vestalin im Tempel, hochmütig, übergeordnet, unberührbar. Auch durch Charly hatte sie bei einigen Begegnungen hindurchgesehen, als wäre er ein Stück Transparenz.
    Jetzt betrachtete die Signora ihn voll, und er hatte keine Hemmung mehr, die Italienerin eingehend zu mustern. Trotz der primitiven Situation, in der sie leben mußte, wirkte sie gepflegt und geschickt zurechtgemacht; sie würde auch jetzt noch in den römischen Salons als eine Attraktion gelten – im Wald von Tombolo aber war sie eine Sensation.
    »Poletto«, sagte Charly.
    »Piacere«, erwiderte sie. »Wie ich höre, sind Sie ein US-Abwehroffizier.«
    »So etwas Ähnliches«, versetzte der ›Blow-up‹-Überlebende.
    »Sie wollen sich jetzt zu Ihren Truppen durchschlagen?«
    »Die Buschtrommeln arbeiten hier wirklich vorzüglich«, entgegnete der Untergetauchte.
    »Ich möchte Sie bitten, mich und meine Begleiter mitzunehmen.«
    »Sie?« antwortete Charly. »Eine Frau?«
    »Frauen werden doch immer mitgenommen«, konterte Gina anzüglich.
    »Vielleicht auf der Landstraße oder auf der Rollbahn, oder ins Wochenende«, ging er auf sie ein. »Aber doch nicht bei einem gefährlichen Ausbruchsversuch aus dem Urwald. Wir könnten in der Pineta überfallen und – wenn wir Pech haben – bei der Annäherung von den eigenen Leuten beschossen werden.«
    »Tarzan siegt immer«, erwiderte Gina. Dann wurde sie ernsthaft. »Ich mußte mich hier für ein paar Tage verkriechen, weil ich in Florenz einen

Weitere Kostenlose Bücher