Pinien sind stumme Zeugen
gefürchtet wird, der ihr nicht angehört. Die Geheimgesellschaft ist Tradition, Brauch, Legende und Wirklichkeit. Für einen Zwanzigjährigen aus Palermo bedurfte es einer gewaltigen Energie, sich der historischen und psychologischen Bindungen zu erwehren.
Craig Ginty hatte eine lange Nacht vor sich, aber er war sicher, daß es sich lohnen würde. Schon vor Stunden hatte ihm Gus Cassidy in einem Funkspruch mitgeteilt, daß Herbie Miller wohlbehalten aufgetaucht und als Verstärkung zu Jack Panizza gestoßen sei. Auch der fehlende dritte Mann, Charly Poletto, hatte nach Aussage Herbies vermutlich überlebt, bewaffnet und bei Kräften war er in die Pineta von Tombolo geflüchtet.
Das heiße Terrain mußte es in sich haben. Inzwischen waren auch der geraubte Jeep und die Uniformen der drei Militärpolizisten in einer Feldscheune in der Nähe der Pineta aufgefunden worden. Allem Anschein nach hatten die Ausreißer ihre Flucht in Unterwäsche fortgesetzt. Ginty erfasste, daß der jüngste Panizza und seine beiden Begleiter außerhalb des Kampfgeschehens und des Aufmarschgebietes der 5. US-Armee waren.
Inzwischen, weit nach Mitternacht, wartete der OSS-Verbindungsmann nervös und gespannt auf die Erfolgsmeldung über den Verlauf der Molosso-Aktion am Fuße des Monte Serra. Er wußte, daß die Transportmaschine und die beiden Begleit-Flugzeuge mittlerweile unversehrt auf dem E-Hafen gelandet waren.
Ginty trank zuviel Kaffee; der trieb das Wasser, und Ginty mußte dauernd austreten, und so erlebte er den erlösenden Moment im WC.
Der Funker war mit der dechiffrierten Meldung hereingestürmt:
AKTION GEGLÜCKT.
KEINE VERLUSTE.
M. LEBEND GEFANGENGENOMMEN.
ACHT BEGLEITER VON IHM ERSCHOSSEN.
Craig Ginty schob jetzt den Kaffee beiseite und griff nach einem Whisky. Der Schnaps benebelte ihn nicht. Er rechnete, zog von fünfzehn acht ab; es blieben immer noch sieben. Ginty schob die Flasche ›Grand Old Dad‹ beiseite, der Whisky schmeckte nach Blut.
Es war jetzt ein Uhr dreißig. Oberleutnant Sollfrei und seine beiden Begleiter hatten sich erschöpft bis zum Umwerfen durch das erste Dickicht des Urwalds gekämpft. Es war eine warme Sommernacht. Sie legten sich nebeneinander und fielen sofort in Schlaf. Erst mit dem Erwachen würden ihre Probleme beginnen.
Vogelgezwitscher weckte sie vorzeitig. Die stille, verträumte Urlandschaft wurde auf einmal quicklebendig. Seitdem sich das Kampfgeschehen nahe an diese Oase herangeschoben hatte und das lang gestreckte Areal zwischen den Fronten lag, wimmelte es hier von Deserteuren und Versprengten, von maroden Helden und marodierenden Halsabschneidern.
Die Tenuta di Tombolo füllte sich bis zum Bersten mit Menschen und mit Schicksalen. Vor allem die farbigen US-Soldaten aus den riesigen, bei Livorno angelegten Depots trieb die Lebenslust zur Fahnenflucht. Sie hauten mit allem, was sie tragen konnten, einfach ab. Auf der Suche nach der weißen Haut kauften sie sich mit ihren Mitbringseln bei den Segnorine ein. Wenn ihre Bestände zu Ende gingen, organisierten sie weiteren Massendiebstahl und zogen immer mehr Deserteure nach, die mit Lebensmittelkonserven, Zigarettenstangen, Whisky, Dollars und Schokolade anrückten. Es kam zu wilden Orgien unter freiem Himmel und auch zu Eifersuchtstragödien; es gab Tote und Schwerverletzte, die keine Überlebenschance hatten. Pinien sind stumme Zeugen.
»Sind wir eigentlich in Afrika gelandet?« fragte der Gorilla, als er Onkel Toms Hütten sah.
»Wenn du die Schwarzen in Frieden läßt, lassen sie uns auch in Ruhe«, erwiderte Panizza. »Du darfst dich nur nicht an ihren Weibern vergreifen.«
»Da ist mir meine Gießkanne nun wirklich zu schade«, versetzte der Oberfeldwebel.
Er verteilte das Frühstück aus der geklauten Verpflegungskiste. Mit Zigaretten geizte er; sie brauchten sie schließlich, um ihre Garderobe zu komplettieren. Bruno erledigte das; er machte sich an ein paar Italiener heran und feilschte mit ihnen. Dann kam er mit Hosen, Hemden und Schuhen zurück. Es war nicht gerade der letzte Schrei, aber jedenfalls guckten sie nicht mehr aus der Unterwäsche.
Trotz des gewaltigen Zustroms – die Zahl der Flüchtigen hatte sich in den letzten Tagen vervielfacht – blieb noch immer freier Raum. Bruno hatte sich bei den Italienern bestens informiert und erfahren, daß in Luzifers Lager jeder kleine Geschäfte machte, um sich durchzuschlagen. Sympathie und Aversion orientierten sich nicht mehr an Nationalitäten. Die Parteien des
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