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Pinien sind stumme Zeugen

Pinien sind stumme Zeugen

Titel: Pinien sind stumme Zeugen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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Erleichterung durchschritten sie schnell und unbekümmert das Hoftor.
    Die Herde hatte den Schlachthof erreicht.
    Ein Pfiff.
    Plötzlich flammten grelle Scheinwerfer auf. Gleichzeitig quollen aus den Gebäuden an die fünfzig Gestalten, gaben Feuerstöße ab und umstellten die Geblendeten und völlig Überrumpelten. Einer der Amerikaner griff noch nach seiner MP, aber sie wurde ihm aus der Hand geschossen. Die anderen kamen nicht mehr dazu, sich zu wehren, und hoben die Hände hoch.
    Während die Lichtarme der Scheinwerfer jetzt das Gelände um den Weiler abtasteten, machte sich Panizza flach wie eine Flunder. Er verfolgte, wie die OSS-Männer entwaffnet, gefesselt und auf einen herangefahrenen Lastwagen verladen wurden. Zwischen den schwerbewaffneten Zivilisten tauchte jetzt auch ein deutsches Wehrmachtsfahrzeug mit vier Feldgendarmen auf. Sie hatten es eilig wegzukommen und verzichteten darauf – zum Glück für Panizza –, die nähere Umgebung des Weilers abzusuchen.
    Er erhob sich, reckte die klammen Glieder, wartete, bis das Blut wieder zirkulierte, orientierte sich kurz und zog los. Bis man den zweiten Trupp geschnappt hatte – er zweifelte nicht daran, daß es ihm genauso erging wie dem ersten –, war Panizza außer Gefahr. Aber bei den Vernehmungen würden die Verfolger erfahren, daß ein Mann fehlte. Sie würden ihn mit allen Mitteln jagen. Einer der festgenommenen Agenten würde bestimmt sprechen, nicht, weil er ein Schwächling oder ein Verräter war, sondern ein blutiger Anfänger, der auf das Wechselbad von Drohungen und Versprechungen unweigerlich hereinfallen müßte. Sie würden zuerst das Gelände und die entlegenen Bauernhöfe, schließlich die Dörfer nach ihm absuchen. Am sichersten wäre Panizza immer noch unter einer größeren Menschenmenge; dafür bot sich Livorno an. Als Dago wußte er, daß die Stadt in ihrer Geschichte Bedrängten immer Zuflucht gewährt hatte: den Katholiken aus England, den Juden und Mauren aus Spanien. Livorno lag näher und war größer als Pisa; deshalb würden die deutschen Feldgendarmen oder italienischen Milizionäre ihn in der Hafenstadt vermuten; er entschied sich für Pisa. Schließlich war er in die Geheimdienstschule der Engländer gegangen.
    Für ihn ging es nun darum, sich zu Fuß zunächst so weit wie möglich von diesem Schauplatz zu entfernen und dann ein Fahrzeug zu finden, das den Gehetzten in Schräglage in die Stadt des schiefen Turmes schaffen würde. Panizza holte zügig aus, aber er rannte nicht – auch das hatte er gelernt. Vier, fünf Kilometer schaffte er so, ohne daß er etwas Verdächtiges bemerkte oder anderen aufgefallen wäre. Der Mond wanderte weiter; es wurde hell und heller. Der Flüchtende hatte die Landstraße nach Pisa erreicht. Es war früh am Morgen und noch kein Mensch unterwegs.
    Der Amerikaner lief weiter, wie ein Uhrwerk, das nicht müde wird, aber doch stehenbleiben muß, wenn man es nicht rechtzeitig wieder aufzieht. Er hörte Motorengedröhn in der Luft, es war ein amerikanischer Aufklärer. Der einsame Fußgänger sah deutlich den fünfzackigen weißen Stern am Rumpf. Einen Moment lang beneidete Panizza seine Mitstreiter, die sicher im Cockpit saßen, während er um sein Leben lief, um seine Haut zu retten.
    Zehn Minuten später hörte er wieder ein Geräusch. Diesmal war es ein Kleinlastwagen. Der Flüchtling stellte erleichtert fest, daß im Führerhaus nur ein Mann am Steuer saß. Er stellte sich quer auf die Straße, um ihn zum Anhalten zu zwingen. Er mußte handeln. Seine rechte Hand fuhr in die Hosentasche, der gekrümmte Zeigefinger lag am Abzug der entsicherten ›Beretta‹, mit der linken hob er ein Päckchen US-Zigaretten hoch, um den Fuhrlohn anzudeuten.
    Der Fahrer trat mehrmals auf die Bremse, bevor das Gefährt schließlich hielt. Er fluchte, er wußte nicht, daß er keine andere Wahl hatte, als sich bestechen oder erschießen zu lassen.
    »Pazzo!« schrie der Fahrer und tippte sich an die Stirn.
    Panizza stieg zu und überreichte dem Wütenden die ›Lucky-Strike‹-Packung. Amerikanische Zigaretten waren auch schon während der deutschen Besatzung in Mittel- und Oberitalien heimisch geworden. Jedenfalls hatten die gestohlenen, geplünderten oder verschobenen Bestände aus den Depots von Neapel die deutschen Auffanglinien weit schneller überwunden als die alliierten Truppen.
    »Quanti?« fragte der Mann am Steuer nach der Anzahl der Zigaretten.
    »Tutti«, erwiderte der Zwangsmitfahrer.
    Der

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