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Pinien sind stumme Zeugen

Pinien sind stumme Zeugen

Titel: Pinien sind stumme Zeugen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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dreckig und roch abscheulich. Aber Schmutz isoliert, und schlechter Geruch hält die Menschen auf Distanz.
    Die US-Verbindungsstelle in Rom war aufgeflogen. Es gab noch eine zweite, aber er konnte sie nicht ausfindig machen. Die Stadt glich einem Vulkan, der jeden Moment ausbrechen konnte. Durch einen endlosen Flüchtlingsstrom aus dem Süden war die Bevölkerungszahl auf eineinhalb Millionen angeschwollen. Viele Römer hungerten und waren so mager wie ihre Schafe, die im Park der Villa Borghese vergeblich nach Futter suchten.
    Männer im arbeitsfähigen Alter waren kaum mehr im Straßenbild zu sehen. Sie versteckten sich, um nicht bei den ständigen Razzien für Arbeitseinsätze zwangsrekrutiert zu werden. Sie schliefen bei ihren Freunden reihum, und das ging in den meisten Fällen nur deswegen gut, weil zu viele gesucht wurden. Verbal trugen in dieser Zeit viele auf beiden und manche sogar als Überlebensübung auf drei Schultern. Mitunter warnten die gleichen Leute, die ihre Freunde, Bekannten oder Hausbewohner – oft unter Druck – denunziert hatten, die Bedrohten selbst vor der anlaufenden Verfolgung.
    Der deutsche Stadtkommandant Kurt Maeltzer schikanierte die Bevölkerung und hielt sie mit einem Ausgangsverbot von abends 19 bis morgens 6 Uhr als Gefangene im eigenen Haus. Stets betrunken, diktierte der verspottete ›König von Rom‹ Befehl um Befehl, Verbot um Verbot, Schikane um Schikane; ein Schmarotzer, Schürzenjäger und Schaumschläger, der hässliche Deutsche schlechthin. Neben diesem Ziehvater von Etappenfilz und Korruption gab es in der Ewigen Stadt ›nordische‹ Edelmenschen, die es fertig brachten, zugleich stramme Nazis zu sein und sich romanophil zu gerieren.
    Die feudalen Tummelplätze der Oberen Zehntausend erwiesen sich auch jetzt noch als Oasen in der Not. Man ignorierte den Krieg, obwohl sich der Geschützdonner immer näher heranschob. Hier trafen sich bei dünnen Aperitifs Said-Faschisten und Salon-Nazis, Fanatiker und Fantasten, Schwarzhändler und Renegaten, Diplomaten und Doppelagenten. Die Principesse und Marchese versteckten in ihren alten Palästen entflohene alliierte Kriegsgefangene, geflüchtete Juden und Untergetauchte aller Art. Häufiger Gast auf ihren Parties war ein blonder Salonlöwe, dessen Lächeln und Lebensart den Blutgeruch überlagerten, der ihm von Russland noch anhaftete. Es handelte sich um den SS-Obergruppenführer Wolff, der auf gesellschaftlicher Ebene gern seine Omnipotenz vorführte, indem er auf Bitten einer hübschen Principessa manchen politischen Häftling aus einem der schlimmsten Gefängnisse der Welt in Trastevere entließ. ›Regina coeli‹ hieß offiziell dieser überfüllte Vorhof der Hölle: ›Königin des Himmels‹.
    Die Damen des Hochadels bedankten sich artig bei Himmlers Mann, den der Duce mit ›Kamerad Wolff‹ ansprach, und der SS-Obersturmbannführer Kappler, der oberste Scherge von Rom, tobte in seinem Terrorquartier mit den zugemauerten Fenstern an der Via Tasso, ganz in der Nähe der Deutschen Botschaft.
    Mussolinis Abgesandte in seine frühere Hauptstadt waren womöglich von noch schlimmerem Kaliber: Eine Sondereinheit der Salò-Polizei wurde von dem faschistischen Polizei-Quästor Caruso geführt; er trug den Namen eines berühmten Tenors und brachte tatsächlich fast jeden Gefangenen ›zum Singen‹, unterstützt von Pietro Koch, einem geschliffenen Schurken, der nicht aus politischem Fanatismus, sondern aus persönlichem Sadismus die ›Pension Jaccarino‹ in der Nähe der Piazza Esedra im Zentrum Roms in eine Folterkammer verwandelt hatte.
    Während sich die Römer bereits zuraunten, die deutschen Stäbe packten ihre Koffer, um sich vor den heranrückenden Alliierten nach Norden abzusetzen (selbst Kappler war auf einmal lässiger geworden und erklärte sein ›schlappes‹ Verhalten mit Menschlichkeit), machten Koch und seine Komplizen bis zum letzten Moment weiter. Oft im Beisein einer Freundin setzte der 26jährige Anführer der Sonderpolizei in seiner Todesherberge zu einem grausamen Endspurt an: Er riß seinen Opfern die Fingernägel aus, versengte Haare und empfindliche Körperstellen, setzte Elektroden an die Geschlechtsteile, brachte durch schmerzhafte Stromstöße die Vernommenen zum Geständnis oder zur Denunziation. Für den meistgehaßten Mann Roms gab es keinen Ausstieg, und so machte er bis zuletzt weiter.
    Er sammelte Namen wie Briefmarken und klebte sie ins Fahndungsalbum.
    »Du bist bei Koch verpfiffen

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