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Pinien sind stumme Zeugen

Pinien sind stumme Zeugen

Titel: Pinien sind stumme Zeugen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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Italiener nickte besänftigt. Er war klein, hatte kurze Haare, die abstanden wie Stacheln bei einem Igel. Er sah aus, als könne er nicht bis drei zählen, aber der Mann sollte bald beweisen, wie hintergründig er war.
    »Wohin willst du?« fragte er.
    »Nach Pisa.«
    »Da fahr' ich hin«, erklärte der Fahrer. »Ich muß Schweine für die Schweine abliefern.« Jetzt erst bemerkte der Flüchtende den üblen Geruch.
    »Ich soll das Borstenvieh in die Kaserne der Miliz schaffen.«
    »So früh am Tage?«
    »Wenn ich später fahre, knallen mich die Jabos ab«, erwiderte der Transporteur. »Americano?« fragte er seinen Fahrgast unvermittelt.
    Während Panizza den Kopf schüttelte, fuhr seine Hand wieder in die rechte Tasche; er hätte nicht gedacht, daß sein Akzent so verräterisch war.
    »Tu, capitalista«, versetzte der Fahrer. »Io sono un socialista«, gab sich der Schweinefahrer ungehemmt zu erkennen.
    »In questo caso siamo ambidue contro il Duce«, entgegnete Panizza. (»In diesem Fall sind wir beide gegen den Duce.«)
    »Dawero«, bestätigte der Italiener und nickte lebhaft.
    »Wie heißt du?« fragte der Amerikaner.
    »Pluto«, erwiderte der Mann am Steuer.
    »Wie Pluto – der Höllenhund?«
    Der Italiener lachte.
    Im Ladeteil des Kleintransporters wurde das Borstenvieh kurz vor seinem Ende richtig lebendig, grunzte und stank bestialisch.
    »Arme Schweine!« bemerkte Pluto. »Daß sie geschlachtet werden, ist ihr Schicksal, aber daß sie die faschistische Miliz frisst, das ist eine ausgesprochene Sauerei.«
    Sie lachten beide; Panizza wußte jetzt, daß er Glück gehabt hatte, an diesen Mann geraten zu sein.
    Kurz vor Pisa machte die Straße eine enge Kurve. Der Fahrer bremste plötzlich wie wild, um die gutgetarnte Straßensperre nicht zu rammen. Bevor der Wagen stand, hatte sich Panizza entschlossen, seine Haut so teuer wie möglich zu verkaufen und die beiden Carabinieri und den deutschen Feldgendarm niederzuknallen.
    »Lascia«, fuhr ihn Pluto an. »Faccio io.«
    »Was bringst du heute?« fragte einer der Uniformierten, der den Italiener offensichtlich kannte.
    »Schweine«, erwiderte der Fahrer. »Habt ihr keine Nasen?«
    »Und wer ist das, Pluto?« fragte der Carabiniere weiter und deutete auf Panizza.
    »Un imbecille«, erklärte der Mann am Steuer. »Ein Dummkopf – er hat sich freiwillig zur Miliz gemeldet.«
    Die Uniformierten wollten zornig werden, mußten aber dann doch grinsen.
    Der Kleinlaster fuhr unbehelligt weiter.
    Der OSS-Mann löste die schweißnasse Hand vom ›Beretta‹-Griff.
    »Stronzo!« schimpfte Pluto. »Hör zu, capitalista«, sagte er dann. »Wenn du zu den Amerikanern gehörst, die sich heute Nacht schnappen ließen, dann seh' ich nur einen Notausgang für dich.« Er stellte fest, daß ihn sein Beifahrer verstanden hatte. »Die Kirche Santo Stefano dei Cavalieri«, erklärte er, während er zur gleichnamigen Piazza einbog. »Linke Seite«, setzte Pluto hinzu. »Zweiter Beichtstuhl. Padre Sebastiano. Ciao, capistalista; auguri!«
    Es war Samstag morgen kurz nach sechs Uhr, und bereits bei der Frühmesse waren alle Gebetsbänke besetzt. Not macht fromm, und die Menschen waren in Not, in Sorge um ihre Angehörigen, in Angst vor den Luftangriffen. Viele hungerten, und die Zukunft ließ ihnen kaum eine Hoffnung. Panizza traute Pluto. Der Amerikaner war kein sehr gläubiger Mensch, aber er flehte zu allen Heiligen, daß er sich dabei nicht täuschen möge.
    Neben dem Beichtstuhl Padre Sebastianos reihte er sich in die Schlange der Wartenden ein: Vier Frauen und drei Männer waren vor ihm.
    »In nome del Signore«, empfing ihn der Geistliche und machte das Kreuzzeichen.
    Panizza folgte seinem Beispiel. »Pluto schickt mich«, zweckentfremdete er dann das Seelengespräch. »Ich brauche Ihre Hilfe – ganz dringend.«
    »Pluto«, antwortete der Pater flüsternd. »Ein überzeugter Sozialist, aber auch ein guter Katholik.«
    »Ich bin ein Amerikaner, und man wird mich überall suchen.«
    »Man wird Sie nicht finden«, erwiderte der Beichtvater. »Nicht bei Signora Taloni.« Er nannte ihre Adresse und beschrieb genau, wie der Flüchtende zu der Asylgeberin gelangte.
    »Ego te absolvo«, sagte Pater Sebastiano am Schluß des Gespräches. Panizza machte das Zeichen des Kreuzes und bedankte sich beim heiligen Stefano dei cavalieri, daß der schwierigste Teil seiner Flucht geschafft war.
    Er fand sich sofort zurecht: zweimal um die Ecke, dreimal läuten.
    Er war nicht der erste, der von

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