Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Pinien sind stumme Zeugen

Pinien sind stumme Zeugen

Titel: Pinien sind stumme Zeugen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
Vom Netzwerk:
denunzierten. Die Liste der Resistenza-Verdächtigen umfasste allein in der Provinz Lazio, zu der Rom gehörte, 20.824 Namen. Pietro Koch, der Sadist mit den unbeschränkten Vollmachten, konnte aus dem vollen schöpfen.
    Drei Verwundete waren während des Transports in Richtung Rom gestorben, zwei weitere schwebten nach Feststellung eines Sanitäters in unmittelbarer Lebensgefahr. Der Bataillonskommandeur, ein junger Hauptmann, machte zuerst seinem Groll Luft, als es ihm gemeldet wurde. Dann sprach er mit Oberleutnant Sollfrei, der auch fiebrige Augen hatte und die Krise zu verbergen suchte, so schlecht es ging.
    »Wir werden hier eine letzte Verteidigungslinie vor Rom aufbauen«, erklärte er. »Ich will aber nicht, daß meine Männer hilflos krepieren. Ich geb' euch einen Laster und Sprit. Versucht, die beiden in ein deutsches Lazarett oder in ein italienisches Krankenhaus zu bringen, auch wenn ihr mit der Waffe in der Hand dafür sorgen müßt, daß sie aufgenommen werden.«
    »Das schaffen wir schon«, erwiderte Sollfrei mit matter Stimme. Überzeugender wirkte der hinter ihm stehende Oberfeldwebel Kopetzky, der mit seiner Maschinenpistole herumfuchtelte.
    Panizza, der Ortskundige, klemmte sich hinters Steuer. Der Gorilla sicherte mit seiner MP, unterstützt von Kopatsch. Sollfrei lag auf Decken neben den beiden Verwundeten im Delirium. Sie fuhren los. Sie wurden weder von Tieffliegern noch von Aufständischen aufgehalten, sondern von liegen gebliebenen Fahrzeugen, an denen Panizza den Laster in Fingerbreite vorbei zwang.
    Plötzlich sah er eine Rot-Kreuz-Fahne.
    »Genau das Richtige«, sagte er und hielt den Lkw vor dem ›Hospital der Barmherzigen Brüder‹. Es war von der Wehrmacht beschlagnahmt und zum größten Teil geräumt worden. Ein junger Oberarzt war bei den nicht transportfähigen Patienten zurückgeblieben. Er erklärte sich sofort bereit, die Fallschirmjäger im Koma aufzunehmen und zu versorgen. »Ich bleibe bei ihnen«, versprach der Offizier mit dem Äskulapstab. »Ich lasse hier keinen im Stich.«
    »Das heißt, daß ihr in Gefangenschaft geraten werdet«, erwiderte Sollfrei.
    »Das ist doch wohl besser, als auf dem Transport draufzugehen. Am besten bleiben Sie auch gleich hier, Oberleutnant Sollfrei.«
    »Ich nicht«, erwiderte der Münchener trotzig. »Meine Freunde bringen mich schon durch, nicht wahr, Bruno?« wandte er sich an Panizza.
    Der Junge aus Südtirol wußte auf einmal, wie: Das Wort Penicillin hatte sich bei ihm festgefressen, diese Wundermedizin, bei der schon ein, zwei Injektionen genügten, um einem von der Infektion befallenen Verwundeten das Leben zu retten. Was die Amerikaner hatten, besaßen – via Schwarzmarkt – auch die Italiener. Aldo Sasselli war Italiener und noch dazu Arzt. Und Anna Maria, seine Schwester, würde er wieder sehen, auch wenn sie in dieser Situation nicht gerade erbaut darüber wäre.
    Bruno Panizza fuhr mit seinen Kumpels los, jagte über die Via Appia nuova, durchfuhr die Via Merulana, überquerte die Piazza Esedra, und das alles ohne Zwischenfall. Bei der Piazza Barbarina fuhr er dann die Via Sistina hoch bis zu einem kleinen Cafe. Es war offen, auch wenn es nur Malzkaffee und gepanschten Rotwein gab.
    »Ihr bleibt hier«, forderte er seine Kumpels auf. »Behaltet den Laster im Auge.« Er deutete auf ein Fenster im ersten Stock gegenüber. »Wenn ich euch von dort winke, kommt ihr nach: erster Stock rechts, Dr. Sasselli. Ihr wisst Bescheid.«
    Bruno flitzte über die Straße, stürmte die Treppe hoch, klingelte.
    Nichts rührte sich.
    Er versuchte es ein zweites Mal.
    Er hörte noch immer nichts, aber er hatte das Gefühl, durch das Guckloch in der Tür beobachtet zu werden.
    »Mach auf, Anna Maria!« rief er aus. »Ich bin's, Bruno.«
    Die Vorhängekette wurde zurückgeschoben, die Tür geöffnet.
    »Mein Gott!« begrüßte die junge Frau ihren Bruder. »Ich bin ganz schön erschrocken.« Sie zog ihn in die Wohnung, umarmte ihn.
    Bruno schob seine sechs Jahre ältere Schwester ein wenig von sich, betrachtete sie. »Du siehst sehr gut aus«, stellte er fest. »Wie ein junges Mädchen.«
    Es war nicht die Zeit für Komplimente. Schon ein paar Mal hatten die Luftschutz-Sirenen geheult, aber der gefürchtete Bombenhagel war ausgeblieben. Eineinhalb Millionen Menschen fragten sich, ob die Stadt der Cäsaren und der Päpste, die Urzelle des Christentums von den Alliierten ›coventriert‹ würde.
    »Bist du desertiert, Bruno?« fragte die

Weitere Kostenlose Bücher