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Pinien sind stumme Zeugen

Pinien sind stumme Zeugen

Titel: Pinien sind stumme Zeugen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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rubinrote Edelgetränk in antike Gläser. Sie tranken nicht, sie zelebrierten genießerisch, ließen den Wein samtweich über die Zunge rollen.
    »Auf den Frieden«, sagte Aldo.
    »Auf den Frieden«, wiederholte Bruno, und auch Jack nickte zustimmend.
    Einen Moment lang hatten sie die Vision von Strand, Sand, Sonne, Wellen, Amore und Musik, von Pasta asciutta und Gitarrenklängen und von der riesigen Domäne Panizza in der Nähe des Kalterer Sees in Südtirol, die ihren großartigen Wein, das Geschenk der Trauben, der Hänge und der Sonne und der Arbeit nicht an die Wehrmacht oder Miliz abliefern mußte, sondern in alle Welt – auch nach Amerika – exportierte. Ihre Augen wurden süchtig, aber es war nur ein Traum von Sekunden; die Gegenwart forderte sie ganz.
    »Wann hast du das letzte Mal von unseren Eltern gehört?« fragte Bruno.
    »Vor einer Woche«, antwortete Anna Maria. »Hier ist der Brief – aber am meisten sorgen sie sich um dich.«
    »Und was ist mit Nino?« fragte er nach dem Ältesten.
    Seine Schwester und der Arzt schwiegen einen Moment lang, aber Bruno merkte, daß sie mehr wußten, als sie sagten.
    »Wann habt ihr zuletzt von ihm gehört?«
    »Vor drei Wochen«, erwiderte Aldo Sasselli. »Nino gehört zum ›Centro X‹.«
    »Was ist das?«
    »Geheime Front – eine militärische Widerstandsbewegung, die die Zerstörung Roms verhindern will. Und du«, fragte der Mann seine Schwester, »du bist doch wohl nicht dafür, daß Rom eine Trümmerwüste wird?«
    »Natürlich nicht«, versetzte Bruno. »Du mußt mir helfen, Aldo«, sagte er dann. »Ich hab' eine große Bitte«, begann er den Arzt zu traktieren. »Es handelt sich um einen wirklichen Freund, auch wenn er mein Kompaniechef war, Oberleutnant Sollfrei. Sein Arm sollte amputiert werden. Jetzt hat er Komplikationen; er ist in Lebensgefahr.« Er sprach schnell, wie um eine Absage zu verhindern. »Die Angloamerikaner haben doch dieses Wundermittel, dieses …«
    »Penicillin«, half ihm der Arzt.
    »Im Lazarett sagten sie, schon ein, zwei Injektionen könnten Peter retten – wirst du ihm helfen, Aldo?« fragte er mit zu hoher Stimme.
    »Warum sollte ich das tun?« erwiderte Dr. Sasselli hart.
    »Weil ich dich darum bitte«, antwortete Bruno, »und weil du Arzt bist. Und als solcher bist du verpflichtet, jedem Menschen zu helfen.«
    »Jetzt hast du's mir aber gegeben«, entgegnete der Mediziner. »Gut, bring ihn her, dir zuliebe.«
    Bruno trat ans Fenster des Nebenzimmers und gab seinen Kumpels vis-á-vis das sehnlich erwartete Signal.
    »Ist das nicht zu gefährlich für Jack?« fragte Anna Maria.
    »Ich verbürge mich dafür, daß meine Freunde tun, was ich Ihnen sage«, versicherte Bruno.
    Der Gorilla stützte Oberleutnant Sollfrei, dessen Zustand sich verschlechtert hatte, der kleine Kopatsch humpelte hinterher.
    »Da steht vielleicht ein mieser Typ vor der Tür«, warnte Kopetzky nach der Vorstellung. »Er sieht aus, als wartete er nur darauf, dir von hinten das Messer zwischen die Rippen zu stoßen.«
    »Ein Italiener?« fragte der Arzt.
    »Ein echter Halsabschneider«, nickte der Oberfeldwebel. »Aber seid unbesorgt. Ich passe schon auf euch auf.«
    Dr. Sasselli ging mit Oberleutnant Sollfrei in das Badezimmer, löste den Verband, betrachtete kopfschüttelnd die Wunde. »Schlimm«, stellte er fest und trug einen letzten Kampf mit sich aus. »Sie haben Glück: einmal, daß Bruno Ihr Freund ist, und zum zweiten, daß ich tatsächlich über etwas schwarzes Penicillin verfüge.«
    Höflich, wie er war, unterdrückte er die Bemerkung, daß er sich den Empfänger des sündteuren, für den Notfall aufgesparten Medikaments anders vorgestellt hatte. Während der Arzt die Wunde reinigte, desinfizierte und das Antibiotikum injizierte, läutete es Sturm an der Wohnungstür.
    Anna Maria zögerte, sie zu öffnen, doch die Ungebetenen hämmerten mit Fäusten gegen das Holz, drohten die Türe einzutreten.
    Sie öffnete vorsichtig.
    Drei Italiener in Zivil drängten durch den Eingang. Der vordere wies eine Polizeimarke der ›Sondereinheit Koch‹ vor.
    »Ich habe einen Haftbefehl für Dr. Aldo Sasselli«, erklärte er.
    »Mein Mann ist nicht da«, entgegnete Anna Maria, mühselig beherrscht.
    »Sie lügen, Signora«, behauptete der Italiener. »Wir haben ihn ins Haus gehen sehen.«
    Die drei Zivilisten betraten die Wohnung, wie um sie zu besetzen.
    Bruno sah, wie sich in Jacks Gesicht die Muskeln hart über die Kiefer spannten; er würde handeln –

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