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Pinien sind stumme Zeugen

Pinien sind stumme Zeugen

Titel: Pinien sind stumme Zeugen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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entsprach, war auf der ganzen Apenninen-Halbinsel entstanden.
    »Vielleicht hast du recht«, antwortete der OSS-Mann. »Aber wo soll ich hin?«
    Der Ziegelträger deutete auf einen Bauschuppen und legte den Zeigefinger auf den Mund. »In der Mittagspause nehm' ich dich mit«, versprach er. »Und meine Arbeitskollegen halten dicht.«
    Etwa um diese Zeit geriet Charly Poletto in eine Straßenkontrolle der Polizei. Er zückte seinen Ausweis, in dem er als Handwerker aus Lucca bezeichnet wurde. Der kontrollierende Polizist betrachtete einen Moment lang mißtrauisch den Mann, auf dessen zu langem Hals ein zu wuchtiger Schädel saß. Er sah nicht gerade wie ein Italiener aus – aber wie sieht ein Italiener aus? Andere Passanten erschienen den Uniformierten offensichtlich verdächtiger; sie ließen den ziemlich großen Handwerker mit den leicht abstehenden Ohren weiterziehen.
    Kurz danach nahm ihn ein Bauer auf einem Pferdefuhrwerk ein paar Kilometer mit. Wieder zu Fuß erreichte Poletto den Arno – zehn Kilometer westlich von Pisa. Ein Fischerjunge setzte ihn mit einem alten Kahn gegen drei Zigaretten auf das linke Ufer über. Es war heiß. Poletto spürte die Erschöpfung. Aber erst im nördlichen Vorgelände der Tenuta di Tombolo suchte er sich einen schattigen Platz für eine kurze Rast mit offen Augen.
    Von Norden kam starker Motorenlärm. Die US-Bomberpulks waren auf dem Rückflug, sauber ausgerichtet wie bei einer Luftparade, von keinem Jagdflugzeug und auch keinem Flakgeschütz behelligt. Sie hatten vermutlich die deutschen Nachschublinien via Genua angegriffen. Einen Moment lang spürte der Mann aus Chicago einen wilden Zorn darüber, daß man ihn und diese Greenhorns in einer schwachsinnigen Aktion auf einen blödsinnigen Eisenbahntunnel angesetzt hatte, wo man die Arbeit aus der Luft so gut wie gefahrlos erledigen konnte.
    Charly Poletto erhob sich, zog weiter. Er hatte einen brennenden Durst, aber er wagte nicht, das schlammige Wasser aus den Tümpeln zu trinken. Immer mehr verdichteten sich die Pinien. Der Überlebende erreichte einen Wald mit verwildertem Unterholz und fast undurchdringlichem Gestrüpp. Der Boden war sumpfig. Dazwischen lagen schmuddelige Wassergräben. Poletto hatte sich bisher am Sonnenstand orientiert und war nach Westen gelaufen, wo die Küste lag. Die Pinien glichen aufgestellten Riesenpinseln und standen so dicht beieinander, daß sie eine geschlossene Decke bildeten.
    Der Flüchtende suchte eine Lücke, verfing sich in einem Dickicht und konnte sich nur mit dem Messer wieder herausschneiden. Er blutete an den Händen und im Gesicht. Er war jetzt total fertig. Seine Zunge klebte am Gaumen, sein Hemd scheuerte auf der Haut. Aber wenn er an die anderen OSS-Agenten dachte, die, von den Italienern in die Falle gelockt, nunmehr den Deutschen zum Erschießen übergeben würden, wuchsen ihm neue Beine.
    Doch Poletto hastete auf ihnen nicht blindlings weiter. Vor dem Einsatz hatte er den Operationsraum auf einer nicht mehr zulässigen Karte gründlich studiert. Seiner Erinnerung nach mußte die Pineta 20 bis 25 Kilometer lang und zehn bis fünfzehn Kilometer tief sein. Irgendwie sollten in dem verwilderten Gelände zwei verfallene Häuser einer stillgelegten Bahnstation stehen.
    Der Durst wurde unerträglich. Der Flüchtende kämpfte noch mit sich, dann redete er sich ein, daß es besser sei, an der Ruhr, der Cholera oder dem Typhus zu krepieren, als hier langsam zu verdursten. Der Amerikaner fiel auf die Knie, beugte sich über einen Tümpel, schöpfte das brackige Wasser mit der hohlen Hand, schlürfte es gierig.
    Als sei er bereits vergiftet, fiel er dann um und döste hinüber, vergaß das Verrecken; er kam erst wieder zu sich, als sich ein Mann über ihn beugte. Polletta war wach, hielt aber die Augen geschlossen.
    »He is exhausted«, hörte er.
    Ein zweiter versuchte ihm an die Tasche zu gehen, um sie zu durchsuchen.
    Poletto fuhr hoch. »Attention!« rief er den drei Männern zu, von denen der längste eine Flinte in der Hand hielt. »I am very ticklish.«
    Der Lange mit der Flinte wieherte. »Hört ihr, er sagt, er ist kitzlig.« Seinem Dialekt nach mußte der Mann aus den Südstaaten stammen.
    Sie lachten alle drei. »Don't worry!« sagte ein zweiter. »We are Americans. And you?«
    »I am American, too«, antwortete der Flüchtige erleichtert. »And I am terribly thirsty.«
    Der Lange reichte ihm seine Feldflasche.
    »Das ist sauber«, sagte er. »Wir haben eine eigene Zisterne.«

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